Der Mann, der nicht auf Sieg setzt

SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier gilt als kompetent, intelligent – aber ohne Leidenschaft. Er ist nur der Juniorpartner.

Düsseldorf. "Wir wollen und wir werden gewinnen, liebe Freunde!" So beschwört Frank-Walter Steinmeier, im Hemd und mit aufgekrempelten Armen, regelmäßig am Ende seiner Wahlkampfreden die Zuhörerschaft. Und nicht nur ein Kollege in unserer Redaktion glaubte, er höre da Gerhard Schröder, wenn er nur die Augen schließe. Das ist kein Zufall und auch nicht allein die gleiche Rhetorik-Schule. Tatsächlich ist auch die politische Karriere Steinmeiers aufs engste mit der Schröders verbunden.

1993 übernahm Steinmeier die Leitung von Schröders Büro in der niedersächsischen Staatskanzlei. 1998 folgte er Schröder, nun Bundeskanzler, nach Berlin und war bis zur Bundestagswahl 2005 nicht nur engster persönlicher Vertrauter Schröders, sondern auch Chef des Kanzleramtes. Aus dieser Zeit stammt sein Image des Technokraten, des Managers der Macht, der aus dem Hintergrund die Fäden spinnt.

An allen wichtigen Entscheidungen Schröders war Steinmeier beteiligt, am Nein zum Irakkrieg wie an der Agenda 2010. Um dann - nach der von Schröder verlorenen Wahl 2005 - Außenminister, wenig später nach Münteferings Rücktritt auch Vizekanzler und schließlich 2007 einer der drei Vize-Parteichefs der SPD zu werden. Und nun also Kanzlerkandidat der ältesten deutschen Partei.

Aber Steinmeier hatte auch ein politisches Leben vor Gerhard Schröder. Das begann 1956 in Detmold, führte ihn mit seinen Eltern, einem Tischler und einer Fabrikarbeiterin, ins lippische Brakelsiek. Hier machte Steinmeier Abitur, um dann im hessischen Gießen 1976 ein Jura-Studium aufzunehmen. Schon ein Jahr zuvor war er Jungsozialist und SPD-Mitglied geworden.

Während des Studiums gehörte Steinmeier - übrigens gemeinsam mit der heutigen Justizministerin Brigitte Zypries - zur Redaktion der linken Zeitschrift "Demokratie und Recht", herausgegeben vom Gießener Staatsrechtler Helmut Ridder und dem Marburger SPD-Dissidenten Wolfgang Abendroth. Die Zeitschrift, obwohl auch sehr DDR-kritisch, wurde damals vom Verfassungsschutz überwacht.

1986 legte Steinmeier das zweite Staatsexamen ab und promovierte 1991 in Gießen mit einer Arbeit unter dem Titel: "Bürger ohne Obdach - zwischen Pflicht zur Unterkunft und Recht auf Wohnraum". Noch 1990 hatte Steinmeier in einem Artikel in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" vor einem Beitritt der DDR gewarnt und stattdessen für eine neue Verfassung und Nationalversammlung geworben.

Es wäre zu bedauern, so Steinmeier damals, bekäme "die DDR nicht einmal die Chance, ihre Geschichte, ihre Utopien, vielleicht ihre Identität in den Einigungsprozess einzubringen". Auch diese Zeitschrift wurde damals vom Geheimdienst überwacht. Aber die Ironie der Geschichte wollte es, dass nur acht Jahre später Steinmeier als Geheimdienstkoordinator unter Schröder zum Überwacher seiner damaligen Überwacher wurde.

Diese Zeit als Geheimdienstkoordinator war nicht Steinmeiers glücklichste. Seine fragwürdige Rolle im Fall Kurnaz und im Irakkrieg beschäftigte Untersuchungsausschüsse. Geschadet hat es seiner Karriere nicht. Allerdings glaubte noch vor zwei Jahren kaum jemand, dass die SPD mit Steinmeier als Spitzenkandidaten in die Wahl 2009 gehen werde.

Steinmeier hatte noch im Sommer 2007 den damaligen SPD-Chef Kurt Beck als "Wunschkandidaten" bezeichnet. Ein Jahr später aber auf der denkwürdigen Klausur in Werder bei Potsdam betrat Beck als Parteichef das Tagungshotel und verließ es durch die Hintertür, während vor dem Hotel Steinmeier erklärte, neuer Parteichef werde Müntefering und Beck habe ihn, Steinmeier, als Kanzlerkandidaten vorgeschlagen.

Der weithin als Intrigenspiel interpretierte Machtwechsel sollte den Abwärtstrend in den Umfragen stoppen. Die Werte für die SPD fielen zwar weiter, aber Steinmeier gewann durchaus Statur. Und nach dem "TV-Duell" mit Kanzlerin Merkel räumte er etliche Zweifel aus, dass er auch "Kanzler kann". Es war - um das Mindeste zu sagen - eine Begegnung auf Augenhöhe.

Steinmeier gilt als intelligent, kompetent und glaubwürdig. Wie auch die Kanzlerin. Es fehlt ihm an Charisma und Leidenschaft. Wie auch der Kanzlerin. Souveräne Gelassenheit - das charakterisiert wohl am besten den 53-jährigen Zigarettenraucher, der ein Agreement mit Fotografen hat, ihn beim Rauchen nicht abzulichten.

In der Endphase des Wahlkampfes werden seine Positionen "linker", die Warnungen vor der sozialen Spaltung lauter, und die jüngsten SPD-Plakate fordern in Riesenlettern nur noch, den "schwarz-gelben Kahlschlag" zu verhindern. Wer so redet, setzt realistisch nicht mehr auf Sieg, sondern auf Platz. Um der SPD als Juniorpartner einer "Großen Koalition" weiter eine Machtperspektive zu sichern.