Die Silvesternacht von Köln Der U-Ausschuss macht Schluss

Am Montag sagten die Zeugen Nummer 177 und 178 aus. Wie konnte es zu den massenhaften Übergriffen auf Frauen kommen?

Düsseldorf. Es war eine seltsam anmutende Prozession, die sich da vor knapp einem Jahr rund um den Kölner Dom und den zugigen Bahnhofsvorplatz bewegte: Die Mitglieder des damals gerade eingesetzten Landtags-Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der massenhaften Übergriffe auf Frauen in der Nacht zum 1. Januar 2016. Ortsbegehung nannte sich das. Man wollte sich ein Bild machen, wo die Übergriffe passiert waren.

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59 Sitzungstage und 178 Zeugenvernehmungen später sagt am Montag der Ausschussvorsitzende Peter Biesenbach (CDU) spürbar erleichtert: „Wir haben es geschafft.“ Was genau geschafft ist, verrät er freilich noch nicht. Denn der Abschlussbericht, der 800 bis 1000 Seiten dick wird, muss erst noch fertiggestellt werden, bevor er im April im Landtagsplenum debattiert wird. Vorher dürfe er keine Wertungen abgeben, sagt Biesenbach.

Andeutungen aber macht er. Im Bericht werde stehen, wie es zu den Ereignissen kommen konnte. Warum die Übergriffe nicht verhindert wurden. Warum den Opfern nicht geholfen wurde. Und was notwendig ist, damit sich so etwas nicht wiederhole. Darauf werde man detailliert antworten. „Nicht jedem werden die Ergebnisse gefallen“, deutet Biesenbach an.

Hintergrund: Der Ausschuss war politisch höchst brisant, diskutiert wurden schließlich auch Fehler der Landesregierung. Mögliche Versäumnisse des Innenministers Ralf Jäger (SPD). Und Vorwürfe an dessen Parteifreundin Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin. Gegen die Staatskanzlei läuft noch vor dem NRW-Verfassungsgericht ein Verfahren auf Herausgabe von Kommunikationsdaten. Dahinter steht: Wer hat wann was gewusst, wer hat gar etwas vertuscht?

Am Montag, am letzten öffentlichen Sitzungstag, wird noch mal wie in einer Art Zusammenfassung deutlich, was im Ausschuss wieder und wieder diskutiert wurde. Wie konnte es dazu kommen? Bundeskriminalamt-Polizist Sven Degenkolb hatte eine Bund-Länder-Projektgruppe geleitet, die sich mit eben dieser Frage befasste: Hätte man das, was in Köln, aber auch in kleinerer Dimension in Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und Stuttgart passiert ist, im Vorfeld erkennen und verhindern können? Dieses überfallartige Begehen von Raub- und Sexualstraftaten. Dieses gezielte Einkreisen von Frauen durch Gruppen ausländischer Männer.

Das habe es so vorher nicht gegeben, sagt Degenkolb, dessen Projektgruppe die Erfahrungen der Landespolizeien abgefragt hatte. Er spricht von ganz vereinzelten Vorfällen dieser Art bei Konzerten in Skandinavien. Übergriffe, wie sie etwa aus maghrebinischen Staaten, in Afghanistan, Pakistan oder im indischen Raum bekannt wurden, seien nicht mit dem erstmals in der Silvesternacht aufgetretenen Phänomen vergleichbar.

Hinsichtlich der Täter fasst Degenkolb zusammen, dass es junge Männer aus den Maghreb-Staaten und dem Mittleren Osten waren, die zumeist noch nicht einmal ein Jahr in Deutschland waren. Sie seien nicht aus der „Antänzerszene“ gekommen. Diese Trickdiebe, die ihre Opfer überraschend umarmen und dann bestehlen, hätten sich sogar durch die große Aufmerksamkeit nach den Silvestervorfällen in ihrem Tun gestört gefühlt.

Es gebe keine Erkenntnisse, dass sich die Täter gezielt verabredet hätten, eben diese Taten am Silvesterabend zu begehen. Es sei ein „gruppendynamisches Phänomen“ gewesen. Angesichts der scheinbaren Abwesenheit der Staatsgewalt hätten die Täter das Gefühl gehabt, mit keinerlei Sanktion rechnen zu müssen.

Der nach Degenkolbs Aussage vernommene allerletzte sachverständige Zeuge, der Kriminologe Rudolf Egg, erklärt es so: „Die Gelegenheit war da, die Herrschaft über diesen Platz zu haben. Man macht Dinge, die man machen kann. Man sagt ja auch: Gelegenheit macht Diebe.“ Schon in einer früheren Vernehmung hatte Egg gesagt, es habe wegen der „scheinbar risikolosen Beteiligung an Straftaten eine Art soziale Ansteckung gegeben.“

Die Täter hätten ihr weitgehend folgenloses Treiben, das ihnen suggerierte, dass der Platz in der Nacht ihnen gehörte, wahrscheinlich sogar noch gefeiert. Das habe dann, obwohl klar war, dass die Zahl der Einsatzkräfte massiv verstärkt würde, in der jüngsten Silvesternacht 2016/2017 gar noch weitere Männer angelockt.

Das Ganze sei ein „Lehrstück für Kriminalprävention“, versucht Egg nach seiner Vernehmung vor Journalisten dem Ganzen noch etwas Positives abzugewinnen. Und so habe es dieses Mal die Polizei genau richtig gemacht: „Es war sinnvoll, junge Männer zu kontrollieren, die nach Aussehen und Auftreten den Tätern des Vorjahres ähnelten.“

Die Aufmerksamkeit, die die Kölner Silvesternacht in den Medien und auch im Untersuchungsausschuss erfahren habe, sei für die Opfer ein wichtiges Signal: Dass es, wenn schon nicht durch Verurteilungen der überwiegend unerkannt gebliebenen Täter, jedenfalls andere Konsequenzen gegeben habe, damit sich so etwas nicht wiederhole. Dass der Fall nicht kleingeredet oder totgeschwiegen wurde.

Für Egg ist unvorstellbar, dass die Dimension dieser Verbrechenskette tagelang weder in der Kölner Polizei noch in übergeordneten Behörden aufgefallen sein soll. In Köln hätten bis zum Neujahrsabend bereits 200 Anzeigen vorgelegen. Darunter „sehr ungewöhnliche Straftaten“, die jeden kriminalistisch erfahrenen Beamten hätten alarmieren müssen. Dass dies zunächst doch nicht bekannt geworden sei, könne an Kommunikationsfehlern gelegen haben. Die Alternative wäre, dass „etwas vertuscht oder verschwiegen wurde“. Hintergrund: Die Landesregierung hatte erst drei Tage später reagiert.

Das bestärkt die Opposition, der es bislang nicht gelungen ist, den ungeliebten Innenminister im Zuge der Aufarbeitung der Silvesternacht politisch zur Strecke zu bringen. Doch dafür hat sie bekanntlich längst einen anderen Hebel. Die Überschrift der Innenausschuss-Sondersitzung am Donnerstag lautet einmal mehr: „Innenminister Jäger muss dem Landtag im Fall Amri endlich persönlich Rede und Antwort stehen“.