CDU-Chef entdeckt „Sozialtourismus“ Die Entdeckung des Sozialtourismus: Merz‘ Schaden

Meinung · Der CDU-Chef auf Stimmenfang im rechten Lager. Keine Frage: Es wird ihm am Ende selbst am meisten schaden. Die Kronprinzen in der Partei werden es nutzen.

Die Grenze ist genommen, das „Sorry“ leicht gesprochen – aber der Tabubruch haftet.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Vorwagen, Grenzen einreißen – und am nächsten Tag entschuldigen. Das ist das Prinzip, das man von rechtspopulistischen Parteien kennt, etwa von der AfD. Die Grenze ist genommen, das „Sorry“ leicht gesprochen – aber der Tabubruch haftet. Friedrich Merz hat dieses Prinzip nun übernommen, als er im Fall der aus Deutschland in die Ukraine und wieder zurück reisenden Geflüchteten das Problem des „Sozialtourismus“ entdeckt hat.

Auf welche Inhalte, auf welche Zahlen und Quellen er sich berief? Unbekannt. Es war wohl eher ein Gefühl, das der CDU-Chef gegenüber „Bild TV“ mit bedeutungsschwangerem Blick und angehobener Stimme zu einem Phänomen aufwertete, das für den sozialen Frieden dringend angegangen werden müsse. Wohlgemerkt: Am Tag darauf war es nur noch ein in „Einzelfällen auftretendes Problem“.

Womöglich aber sogar ein Gefühl, das Gefühle anderer in Stimmen für die CDU verwandeln sollten: Merz fischt am rechten Rand. Auf dem Rücken von Menschen in Not. Und führt kurz vor der Landtagswahl in Niedersachsen seinen Besuch in der Ukraine – medial seinerzeit als Anti-Scholz mit kraftvollem deutsch-ukrainischen Partnerwunsch inszeniert – ad absurdum. Er ist da, wo die Stimmen winken: In Kiew, als Scholz‘ Zögern nach Ersatzautorität schrie. Und beim „Sozialtourismus“, wenn der Rückhalt für Geflüchtete ob hoher Energiepreise und drohender sozialer Verwerfungen schwindet.

Ein taktischer Drahtseilakt ist das, den man beherrschen muss, wenn man denn schon so niederträchtig sein will. Markus Söder (CSU) ist das bei seiner „Asyltourismus“-Debatte 2018 nicht gut bekommen. Bei der Landtagswahl im Oktober 2018 holte die CSU das schlechteste Ergebnis seit 1950. Man kann daraus lernen, dass das Fischen am Rand sich selten lohnt für Parteien, die sich der Mitte verbunden fühlen.

Es kostet mehr, als dass es bringt. Und es lässt am Charakter zweifeln. An der Befähigung für Ämter, die wichtiger sind als der CDU-Vorsitz. Merz‘ Ausfall wird ihm selbst am meisten schaden. Und jene freuen, die sich in dessen Schatten unionsintern nun als integerere Kraft etablieren können.