Energiekrise Schaden am AKW Isar 2: Steht Habecks Notreserveplan auf der Kippe?

Essenbach/Berlin · Ein bisher unbekannter Ventil-Schaden im AKW Isar 2 sorgt für Turbulenzen. Der Bund schießt gegen Bayern - das wiederum Wirtschaftsminister Habeck in der Pflicht sieht.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks Isar 2.

Eigentlich schien die Kritik an Robert Habecks (Grüne) geplantem AKW-Reservebetrieb gerade abzuflauen - dann das: Das bayerische Atomkraftwerk Isar 2 muss spätestens im Oktober wegen einer „internen Ventil-Leckage“ repariert werden, um noch für den Reservebetrieb ab Januar überhaupt in Frage zu kommen. Für den angeschlagenen grünen Wirtschaftsminister eine weitere Baustelle. Für das Bundesumweltministerium eine „neue Wendung“. Steht das gesamte Modell Reservebetrieb nun auf der Kippe?

Was die „Leckage“ technisch bedeutet

Das Bundesumweltministerium gibt an, „in der vergangenen Woche“ vom Reparaturbedarf im bayerischen Atomkraftwerk Isar 2 erfahren zu haben. Habecks Ministerium dazu: „Das ist ein neuer Sachverhalt, der sich erst im Gespräch mit den Betreibern am 13. September herauskristallisiert hat und noch nicht in den Stresstest eingeflossen war.“ Gemeint ist der Stresstest zur Stromversorgung bei Energieengpässen, auf dessen Basis das Ministerium vor wenigen Wochen die Entscheidung zur AKW-Notreserve getroffen hatte.

Warum das nun aufgetretene Problem so heikel ist: Wenn Isar 2, wie ursprünglich geplant, am 31. Dezember dieses Jahres vom Netz ginge, müsste der Ventilschaden nicht mehr behoben werden. Wenn sich das AKW aber, wie von Habeck angekündigt, für einen Weiterbetrieb bis Mitte April 2023 eignen soll (Reservebetrieb), ist die Reparatur zwingend. Und zwar nicht erst Ende des Jahres, sondern schon sehr bald im Oktober. Dafür muss die Anlage, wie es heißt, rund eine Woche lang stillstehen. Ein späterer Zeitraum für die Stilllegung wäre laut Betreiber mit Blick auf die mögliche Notreserve nicht möglich. Mit anderen Worten: Eine zügige Entscheidung über die Reparatur muss her.

Was das politisch bedeutet

Nach dem Willen Habecks sollen die Meiler Isar 2 und Neckarwestheim von Januar bis Mitte April als Notreserve bereitstehen, um im Fall der Fälle, Strom zu produzieren. Dies könnte nötig werden, wenn der Winter hart und der Energieverbrauch hoch ist. Nachdem aber Isar 2 nun repariert werden muss und dann nur noch einmal hochgefahren werden kann, ist der Plan auf der Kippe. Das kleine Ventil erhöht den Druck auf Habeck: Denn faktisch muss der Meiler - sollte er nach der Reparatur wieder angefahren werden - dann über den Jahreswechsel am Netz bleiben. Als optionale Notreserve stünde somit nur noch der Meiler Neckarwestheim zur Verfügung. Er könnte zum Jahresende runtergefahren und dann bei Bedarf wieder ans Netz genommen werden.

Die Reparaturkosten

Auch die Kostenfrage steht im Raum - selbst wenn die Beteiligten sie zunächst nicht offen ansprechen wollen. Wird der Bund die Reparatur für das Isar-2-Leck bezahlen müssen? Und wäre es dann nicht die einzige Konsequenz, das AKW auch noch nach dem 31. Dezember definitiv am Netz zu lassen - allein wegen der entstandenen Zusatzkosten für den Staat? Fragen, die das Ministerium von Habeck beantworten müsste. Am Dienstag verweist eine Sprecherin dazu lediglich auf „konstruktive Gespräche“, die man derzeit mit den Betreibern führe.

Kritik an Bayern

Umweltministerin Lemke will nicht so recht glauben, dass Bayerns Behörden nicht eher von dem abgenutzten Ventil wussten und kritisiert das Agieren des dortigen Umweltministers Thorsten Glauber von den Freien Wählern als „unseriös“. Auch CDU-Chef Friedrich Merz und den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) nimmt Lemke ins Visier. Sie hätten ja beide den Reaktor angeschaut, da stelle sich die Frage, ob sie das Problem in ihrer Pressekonferenz am 4. August einfach verschwiegen hätten. Neben FDP und AfD setzt sich vor allem die Union lautstark für einen Weiterbetrieb der laufenden Kernkraftwerke ein. Von drohenden Ventil-Reparaturen war bislang nie die Rede. Was aber auch zur Wahrheit gehört: Der Isar-2-Betreiber Preussen Elektra ist nicht verpflichtet, den Schaden an die Bundesebene zu melden.

In Bayern spielen sie den Ball umso heftiger zurück. Habeck müsse „jetzt endlich hopp oder top“ zur Laufzeitverlängerung sagen, drängt Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Dem pflichtet auch sein Parteifreund, Umweltminister Glauber, bei. „Es braucht jetzt endlich eine Entscheidung des Bundes und keine weitere Taktiererei.“ Jetzt zeige sich, dass die Idee einer Kaltreserve von Januar bis April keine gute Lösung sei.

Den Vorwurf, Informationen zurückzuhalten, lassen die Bayern auch nicht gelten. Söders Staatskanzlei weiß nach eigenen Angaben erst seit Montag - und zwar aus den Medien - von dem defekten Ventil. Aus dem Umweltministerium heißt es, die Atomaufsicht des Landes sei fortlaufend informiert über den Zustand des Kraftwerks. Dazu gehöre auch, dass dort Bauteile eingesetzt würden, die bei ihrem bestimmungsgemäßen Einsatz verschleißen. Es habe aber keine spezielle Information des Betreibers zum besagten Ventil gegeben.

Die Lage im AKW Neckarwestheim

Das Leck im AKW Isar 2 wirft auch zwangsläufig die Frage danach auf, ob sich der Vorfall auch in Neckarwestheim - das laut Bundesregierung ebenfalls als Notreserve-AKW nach dem 31. Dezember bereitstehen soll - wiederholen könnte. Der Betreiber des baden-württembergischen Meilers winkt ab: Der Block II des Kernkraftwerks Neckarwestheim habe im Juni 2022 „eine turnusgemäße, rund dreiwöchige Jahresrevision“ erfahren. Seit dem Wiederanfahren befinde sich der Reaktor „im störungsfreien Leistungsbetrieb“, heißt es auf Anfrage. Ob das so bleibt, wird sich noch zeigen. Fakt ist: Ein relativ harmloses Ventil-Problem könnte für Habeck noch zum politischen Supergau werden.

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(dpa)