Die Szymanskis zieht es in den Westen

Eine polnische Familie sucht ihr Glück in Deutschland. Ihr könnten tausende Landsleute folgen. Experten sehen darin aber eine Chance und keine Gefahr.

Stettin. Am Ende war der Lockruf des gelobten Landes stärker. „Die Familie Szymanski ist nach Deutschland fortgezogen“, sagt Ryszard Nowak. Den Ratsherrn in der schlesischen Kleinstadt Walbrzych verbindet eine besondere Geschichte mit den Szymanskis. „Vor einem halben Jahr stand der kleine Dominik plötzlich bei mir in der Amtsstube“, berichtet er und erzählt, wie der Dreikäsehoch, der kaum über die Schreibtischplatte gucken konnte, kurzerhand von ihm verlangt habe: „Herr Nowak, besorgen Sie mir eine Arbeit in Deutschland!“ Ob als Maurer, Maler oder Fliesenleger, das sei ihm ganz gleich, fügte der Sechsjährige im Brustton der Überzeugung hinzu.

Nowak versuchte tatsächlich zu helfen. „Dominiks Eltern waren arm und hatten keine Arbeit“, erläutert er. Der Stadtrat suchte nach Jobs — allerdings in Walbrzych, nicht im 120 Kilometer entfernten Sachsen. Doch bei einer Arbeitslosenquote von mehr als 17 Prozent erwies sich das Unterfangen als aussichtslos. „Und jetzt sind sie verschwunden — niemand weiß, wohin genau“, berichtet Nowak. Dass die Szymanskis nach Deutschland aufgebrochen sind, gilt in Walbrzych allerdings als ausgemachte Sache.

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, in den Szymanskis so etwas wie Pioniere der neuen Freizügigkeit für osteuropäische Arbeitnehmer zu sehen, die vom 1. Mai an in Deutschland gilt. Ab diesem Stichtag dürfen sich Bürger aus Polen, Tschechien und der Slowakei, den drei baltischen Staaten, Slowenien und Ungarn hierzulande niederlassen und eine Beschäftigung aufnehmen — uneingeschränkt und zu den gleichen Bedingungen wie ihre deutschen Kollegen.

Doch was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft? Wird nun ein Heer von Billiglöhnern in die Bundesrepublik einfallen? Geraten der unternehmerische Wettbewerb und die Sozialsysteme aus den Fugen?

„Nichts von alledem wird geschehen“, sagt Horst Schmitt von der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit, die auch für Mecklenburg-Vorpommern zuständig ist. Dort sowie im gesamten deutsch-polnischen Grenzgebiet sind die Ängste in der Bevölkerung vor einem Ansturm der Osteuropäer besonders groß. „Diese Befürchtungen gibt es, aber sie sind unbegründet. Deutschland mit seinem stagnierenden Lohnniveau ist nicht attraktiv genug.“

Doch das sehen offenbar nicht nur der kleine Dominik aus Walbrzych und seine Eltern anders. Polnische Medien geben seit Monaten praktische Tipps für Auswanderer. Als nach der EU-Erweiterung 2004 Briten, Iren und Skandinavier ihre Arbeitsmärkte öffneten, verließen innerhalb weniger Jahre rund zwei Millionen Polen ihre Heimat, um ihr Glück im Westen oder Norden zu suchen.

Derzeit buhlt die Regierung in Warschau mit Rückführungsprogrammen um die Emigranten. Die polnische Wirtschaft boomt seit Jahren, und immer häufiger fehlen den Betrieben qualifizierte Mitarbeiter.

Zugleich suchen viele deutsche Unternehmen händeringend Fachkräfte und werben seit Monaten im Nachbarland. Dennoch dürfte die von vielen befürchtete Revolution ausbleiben. Migrationsexperten rechnen bis 2015 mit einem jährlichen Zustrom von rund 100 000 Osteuropäern nach Deutschland. Wer nach Deutschland wolle, sei eh längst dort.

Tatsächlich ist der Arbeitsmarkt für Akademiker und Saisonkräfte bereits geöffnet. Und aufgrund der EU-Dienstleistungsfreiheit können Selbstständige und Freiberufler ihre Arbeit seit 2004 in der Bundesrepublik anbieten.