EU-Kommission: Jean-Claude Juncker hat den Vortritt
Der Konservative erhält von den Fraktionen Rückendeckung. Doch die Regierungschefs sind sich nicht einig.
Brüssel. Das Spitzen-Treffen am Dienstagabend war informell und beschränkte sich auf ein gemeinsames Abendessen. Doch die europäischen Staats- und Regierungschefs weckten mit ihrem Brüsseler Dinner-Gipfel hohe Erwartungen. Denn bei den Europawahlen hatte es erstmals Spitzenkandidaten der Parteien gegeben — und damit Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Offiziell vorschlagen müssen den Kandidaten aber die Nationalstaaten. Gewählt wird er vom Parlament.
Unmittelbar vor dem Spitzentreffen der „Chefs“ bekam der frühere luxemburgische Premier Juncker Rückendeckung aus der Volksvertretung. Da seine konservative Europäische Volkspartei (EVP) die größte politische Familie ist, werde er als Erster versuchen, eine Mehrheit zu bilden, entschieden die Fraktionschefs. Vortritt also für den EU-Routinier, der seit drei Jahrzehnten auf dem Brüsseler Parkett steht.
Während das Parlament sich rasch festlegt, dürfte es bei den Staatenlenkern dauern. In deren Reihen gibt es wenig Neigung, die Spitzenpersonalie schnell zu entscheiden. „Mit dem Abendessen beginnt das Auswahlverfahren, es endet nicht“, meinte ein Diplomat. Vielleicht gebe es einen Beschluss beim Sommergipfel am 26. und 27. Juni, vielleicht werde es aber auch länger dauern.
Die Gründe für den Bremskurs in der Gipfelrunde sind vielfältig. Da ist der britische Premier David Cameron, der nach Expertenansicht alles versuchen wird, um Juncker als Kommissionschef zu verhindern. Juncker, der als früherer Chef der Eurogruppe wie kaum ein zweiter für die Strategie „Mehr Europa!“ steht, ist für den britischen Premier ein rotes Tuch.
Nach dem Sieg der rechtspopulistischen Ukip bei der Europawahl in seinem Land steht Cameron erheblich unter Druck und dürfte auf Zeit spielen, lautet die Erwartung in der Europahauptstadt. Vorbehalte gegen Juncker gibt es auch in Budapest — der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orban kündigte bereits an, die Abgeordneten seiner Fidesz-Partei, die der EVP angehören, würden den Luxemburger nicht unterstützen.
Und da sind andere, unter ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die freundlich darauf hinweisen, dass es in diesem Sommer um ein ganzes europäisches Personalpaket gehe. So müssen Nachfolger für Gipfel-Gastgeber Hermann Van Rompuy und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton gefunden werden.
Wie auch immer das Postengeschacher ausgeht: Am Ende dürfte eine Art große Koalition entstehen. Im Parlament arbeiten die Konservativen und die Sozialdemokraten als größte Gruppen schon seit Jahren informell zusammen. Die europäischen Sozialdemokraten forderten am Dienstag jedenfalls für ihren Spitzenkandidaten Martin Schulz (SPD) „eine starke Position“ in einer vom Christdemokraten Jean-Claude Juncker geführten EU-Kommission.