Europa droht eine soziale Spaltung
Millionen Menschen in der EU spüren Folgen der Wirtschaftskrise. Rekordwerte bei der Arbeitslosigkeit — aber nicht in Deutschland
Brüssel. Die soziale Kluft in Europa verschärft sich in der seit Jahren anhaltenden Wirtschaftskrise. Das spüren Millionen Menschen vor allem in Süd- und Osteuropa, wie eine umfassende Studie der EU-Kommission zeigt. Die Arbeitslosigkeit sei so hoch wie seit fast 20 Jahren nicht mehr. Auch in Deutschland laufe nicht alles gut.
Entsprechend hart fällt das Urteil von EU-Beschäftigungskommissar Laszlo Andor aus. „Wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der sich verschlechternden sozialen Lage war 2012 ein weiteres miserables Jahr für Europa“, sagte er. Die durchschnittlichen Haushaltseinkommen seien gesunken und das Armutsrisiko gestiegen. In Europa seien vor allem junge Erwachsene, arbeitslose Frauen und alleinerziehende Mütter von Armut bedroht.
Europaweit ja. Vorigen Mai suchten in der EU erstmals mehr als 25 Millionen Menschen eine Stelle. Seither hat sich die Lage weiter verschlechtert. Das zeigen die jüngsten Zahlen, die das europäische Statistikamt Eurostat ebenfalls am Dienstag bekanntgab.
In der EU wuchs die Arbeitslosenquote bis Ende 2012 im Jahresvergleich von zehn auf 10,7 Prozent. In den 17 Staaten des Euro-Währungsraums stieg die Arbeitslosenquote noch stärker: von 10,6 auf 11,8 Prozent. Diese Zahlen sind von November, neuere gibt es noch nicht.
Deutlich besser. Ein genauerer Blick enthüllt, wie gespalten Europa und vor allem der Euro-Raum inzwischen sind (siehe Grafik). Die niedrigsten Arbeitslosenquoten melden derzeit Österreich (4,5 Prozent), Luxemburg (5,1) und Deutschland (5,4). Dagegen liegt die Quote in den zwei Krisenstaaten Spanien und Griechenland bei etwa 26 Prozent. Vor der Krise war das laut der EU-Studie noch ganz anders. 2007 lagen die Arbeitslosenquoten in den Euro-Ländern noch dicht beisammen.
Angenähert haben sich derweil die Arbeitslosenquoten bei Männern und Frauen in Europa. Vor der Krise waren mehr Frauen ohne Job. Diese Entwicklung erklären die EU-Experten damit, dass die Wirtschaftsflaute vor allem Arbeitsplätze in traditionell männerlastigen Branchen zerstört, zum Beispiel in der verarbeitenden Industrie oder der Baubranche.
Viele müssen den Gürtel enger schnallen. Denn die Misere auf dem europäischen Arbeitsmarkt hat natürlich auch Folgen auf das Geld, das die Menschen ausgeben können. In zwei Drittel der EU-Staaten sanken die Haushaltseinkommen zwischen 2009 und 2011, wie die Studie zeigt.
Besonders stark treffe das die Menschen in den krisengeplagten Staaten Griechenland, Spanien, Zypern und Irland. Ein „krasser Gegensatz“ dazu sei die Entwicklung in Nordeuropa. In Deutschland, Polen oder Frankreich stiegen die durchschnittlichen Einkommen laut den Experten. Das sei den staatlichen Sozialsystemen und den relativ widerstandsfähigen Arbeitsmärkten dieser Länder zu verdanken.
Auch in Deutschland, das die Wirtschaftskrise bisher vergleichsweise gut übersteht, sieht EU-Kommissar Andor Armutsrisiken — bei Menschen, die keine Tarifverträge hätten oder in Branche arbeiteten, in denen kein Mindestlohn gelte.
Die EU-Experten betonen außerdem, dass auch Menschen armutsgefährdet seien, die einen Job hätten. Die Zahl dieser Arbeitnehmer sei zwischen 2006 und 2011 in einem Drittel der EU-Staaten gestiegen — unter anderem in den wirtschaftlich stabileren Staaten Deutschland, den Niederlanden und Dänemark. Als Gründe nennen die Experten kaum steigende Löhne oder die Verringerung der Arbeitszeit.