Europa: Helmpflicht für Seiltänzer
Britische Zeitungen machen mit viel Phantasie Stimmung gegen die Brüsseler Bürokratie.
Brüssel. London ist von Brüssel nicht viel mehr als einen Tunnel entfernt. Aber dort auf der Insel scheinen Europas Hauptstadt und die EU-Beamten ziemlich weit weg zu sein - abgehoben und völlig abgedreht. Denn wie ließe sich sonst erklären, dass sich die Briten in ihren Zeitungen ständig neue Schauermärchen über die EU aufbinden lassen.
Etwa, dass die EU-Arbeitssicherheits-Richtlinie von Seiltänzern verlange, dass sie einen Helm tragen. Oder dass Metzgern von den EU-Beamten zur Vorbeugung von Seuchen verboten wird, Hunden einen Knochen zum Abnagen hinzuwerfen - hier scheinen einige Zeitungsschreiber wohl immer noch gekränkt zu sein, dass gerade britisches Beef in der BSE-Krise mit einem Bann belegt wurde.
Vor zwei Jahren wetteiferten die Gazetten Daily Mail, Sun und Daily Star um die empörteste Schlagzeile, als - so behauptete jedenfalls die britische Yellow Press - die Pub-Besitzer mit härtesten Strafen rechnen müssten, wenn ihre Kundschaft die Kellnerin mit "darling" oder "sweetheart" riefe. Wer sich das ausgedacht habe? Natürlich die "Bürokraten in Brüssel, die keiner gewählt hat".
Gewiss, auch deutsche Zeitungen haben in den vergangenen Jahren allerhand Unfug über die EU behauptet. Zum Beispiel, dass wegen der Fischquoten künftig auch Angler am Weiher ihre Ausbeute registrieren lassen müssten. Oder dass die - so getaufte - "EU-Sonnenschein-Richtlinie" Bedienungen im Biergarten verbiete, im Dirndl mit tiefem Ausschnitt Getränke zu servieren. Und auch die Mär, dass die EU Bücher für Kleinkinder verbieten wolle, damit die Babys nicht an Papierfetzen ersticken, stammt aus deutscher Journalistenfeder.
Aber in Sachen Fantasie lassen sie sich von den Schreibern auf der Insel ziemlich vorführen. Die zeigen sich zum Beispiel äußerst ideenreich, wenn sie aus den europäischen Konsultationsrechten von Arbeitnehmern ableiten, dass der Chef mit den Angestellten abstimmen muss, welche Sorte Tee getrunken wird. Oder aus der Elektromüll-Direktive folgern, dass Frauen Vibratoren und anderes Erotikspielzeug im Fachhandel entsorgen müssten.
Ach ja, und eines der ältesten Märchen feiert natürlich immer wieder in Großbritannien fröhliche Urstände: dass nämlich die Euro-Münzen und Euro-Scheine alle möglichen Krankheiten und sogar Impotenz provozieren.