Der Anschlag von Berlin Fall Amri bringt Ralf Jäger in Erklärungsnot

Der NRW-Innenminister muss sich am 5. Januar in einer Sondersitzung den Vorwürfen der Opposition stellen. Die wirft den Behörden Versagen bei der Überwachung des Berliner Attentäters vor.

Düsseldorf. Für NRW-Innenminister Ralf Jäger, der schon wegen der Kölner Silvesterexzesse als oberster Polizist des Landes seit einem Jahr im Kreuzfeuer der Opposition steht, beginnt auch das neue Jahr politisch turbulent. Nun werden dem SPD-Politiker Versäumnisse im Zusammenhang mit der Überwachung von Anis Amri vorgeworfen — dem für den Berliner Anschlag verantwortlich gemachten und in Italien von Polizisten erschossenen Tunesier. In seltener Einmütigkeit mit der Piratenfraktion haben CDU und FDP im Landtag eine auf den 5. Januar terminierte Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. Den einzigen Tagesordnungspunkt überschrieben die Oppositionspolitiker so: „Spur des Terroranschlags auf Berliner Weihnachtsmarkt führt nach Nordrhein-Westfalen.“

Worauf sich Jäger in der Sondersitzung gefasst machen muss, zeigt der von Lutz Lienenkämper, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, in Frageform gekleidete Vorwurf: „Wie will Innenminister Jäger die Bevölkerung künftig vor islamistischen Gefährdern schützen, wenn ihm dies nicht einmal bei einem Menschen gelingt, über den die Sicherheitsbehörden so viel wissen wie über Anis Amri?“

Amri war im Fokus der Ermittlungsbehörden. Im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) in Berlin soll zwischen Februar und November 2016 mindestens sieben Mal über Amri gesprochen worden sein. Im GTAZ tauschen Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern Erkenntnisse aus, um islamistischen Terrorismus zu bekämpfen. Beteiligt sind 40 Ämter — Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter, Bundespolizei, Verfassungsschutz aus Bund und Ländern, Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst und Zollkriminalamt. Amri galt als „Gefährder“, dem ein Anschlag zugetraut wurde, er verschwand aber vom Radar der Behörden.

In einer Pressekonferenz am 21. Dezember — da war Amri noch auf der Flucht — hatte Innenminister Jäger gesagt, dass der „offensichtlich hochmobile“ Verdächtige zwar bis Anfang 2016 in NRW, dann aber in Berlin gewesen sei. Danach habe er sich noch „für einen sehr kurzen Zeitraum“ in NRW aufgehalten. Im Juni 2016, so Jäger, sei der Asylantrag des Mannes abgelehnt worden. Obwohl dessen Lebensmittelpunkt da in Berlin lag, sei die (nicht vollzogene) Abschiebung in Absprache mit der eigentlich zuständigen Ausländerbehörde Berlin aus verfahrensökonomischen Gründen durch die Ausländerbehörde in Kleve betrieben worden. Hintergrund: Gemeldet war Amri in einer Asylunterkunft in Emmerich am Niederrhein.

In ihrem Antrag für die Innenausschuss-Sondersitzung vermutet die Opposition, dass Amri „deutlich engere Verbindungen nach NRW hatte, als es Innenminister Jäger einräumt.“ Nach Recherchen des WDR soll Amri im Ruhrgebiet deutlich besser vernetzt gewesen sein als bislang angenommen. Unter anderem habe er mehrere Moscheen besucht und auch in einer von ihnen übernachtet.

Aus dem entsprechenden Medienbericht wird auch jetzt in dem Antrag für die Sondersitzung des Innenausschusses zitiert. Amri soll danach in zwölf Moscheen im Ruhrgebiet verkehrt und engen Kontakt zu den dortigen Imamen gehabt haben. Im April 2016 habe er mit einem seiner acht Alias-Namen einen Asylantrag in Oberhausen gestellt und NRW daraufhin nicht mehr verlassen dürfen. Daher hätten sich die Berliner Behörden für nicht mehr zuständig erklärt. Im August 2016 sei Amri unter einem Alias-Namen in Emmerich untergekommen und habe dort Sozialleitsungen bezogen.

Im April eröffnete die Staatsanwaltschaft Duisburg ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs gegen Amri, wie ein Sprecher der Behörde sagte. Amri habe im November 2015 unter zwei Namen Sozialleistungen in Emmerich und in Oberhausen beantragt. „Es geht um eine Überschneidungszeit von wenigen Tagen“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Im November sei das Verfahren eingestellt worden, weil nicht bekannt gewesen sei, wo sich Amri aufhalte.

CDU-Landeschef Armin Laschet sagt nun: „Wenn die Enthüllungen stimmen, dass ein ausreisepflichtiger terroristischer Gefährder, der den Behörden bekannt ist, sich völlig frei bewegen und in radikalen Moscheen im Ruhrgebiet ungestört Hass predigen kann, dann ist dies der absolute Tiefpunkt von sechs Jahren rot-grüner Innenpolitik in NRW, der jetzt schonungslos aufgeklärt werden muss“, sagte er.