Fall Amri - „Kraft täuschte Gutachter“

CDU erhebt schwere Vorwürfe gegen die Landesregierung und beruft sich auf Aussagen des Generalbundesanwaltes.

Steht im Fall Amri weiter in der Kritik: NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD).

Foto: Federico Gambarini

Düsseldorf. Die NRW-CDU erhebt im Fall des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri erneut schwere Vorwürfe gegen die rot-grüne Landesregierung. „Die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalens hat ihren eigenen Gutachter über die Möglichkeit einer Inhaftierung und Abschiebung Amris getäuscht“, sagt Daniel Sieveke, Sprecher der CDU-Landtagsfraktion im Untersuchungsausschuss zum Fall Amri.

Sieveke stützt seinen Vorwurf auf ein Schreiben des Generalbundesanwaltes (GBA) Peter Frank, das den Mitgliedern des Ausschusses zugeleitet wurde. Darin beantwortet er Fragen, die bei seiner Aussage vor dem Ausschuss am 31. März offen geblieben waren. Der GBA macht deutlich, dass es seitens der NRW-Behörden die Bitte um Freigabe von Akten zu Amri nie gegeben habe. Und er hält fest, dass er die bereits im März 2016 in Aussicht gestellte Freigabe erteilt hätte. Sievekes Kommentar: „Damit entfällt das Versteckspiel hinter dem GBA ein für alle Mal. Es steht nun zweifellos fest: Der Attentäter Amri hätte festgesetzt werden können.“

Der Gutachter der Landesregierung, Bernhard Kretschmer, hatte in seiner Bewertung geschrieben, die Sicherheitskonferenz (Siko) NRW habe eine Abschiebeanordnung gegen Amri im März 2016 nicht weiterverfolgt, „weil die zur Begründung des Gefahrverdachts herangezogenen Erkenntnisse nicht vom GBA für aufenthaltsrechtliche Maßnahmen freigegeben und daher nicht gerichtsverwertbar waren“.

Diese Aussage hatte der Generalbundesanwalt bereits als Zeuge vor dem Ausschuss als falsch zurückgewiesen. Seine Behörde habe vielmehr Vertretern des NRW-Landeskriminalamtes (LKA) eine „wohlwollende Prüfung der Aktenfreigabe zugesagt“. Es sei aber nie eine Anfrage des Ministeriums gekommen. Gutachter Kretschmer hatte erklärt, dass er nicht an den Bemühungen des LKA NRW um Freigabe der Erkenntnisse beim GBA im Fall Amri zweifle. Hätten diese Erkenntnisse vorgelegen, so Kretschmer, hätte eine Abschiebeanordnung durchaus erfolgreich sein können.

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hatte stets betont, die Behörden seien im Fall Amri „bis an die Grenzen des Rechtsstaats gegangen“. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Abschiebung Amris seien „nach übereinstimmender Einschätzung der mit dem Fall betrauten Gremien des Bundes und der Länder nicht gegeben“ gewesen. Daran habe auch die Warnung des LKA NRW im März 2016, dass Amri einen Terroranschlag planen könnte, nichts geändert. Mehrere deutsche Sicherheitsbehörden seien wiederholt zu der Einschätzung gekommen, dass von Amri keine akute Gefahr ausgehe und ein Anschlag unwahrscheinlich sei. Eine fatale Fehleinschätzung: Am 19. Dezember des vergangenen Jahres steuerte der abgelehnte tunesische Asylbewerber Amri einen Lastwagen auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin und tötete zwölf Menschen.

Unterdessen zeigt ein Fall in Leverkusen, dass es in Deutschland offensichtlich an Abschiebehaftplätzen mangelt. Die Polizei in Leverkusen hat Anfang April laut „Thüringer Allgemeine“ einen mehrfach verurteilten Asylbewerber laufen lassen, weil NRW keinen freien Abschiebehaftplatz hatte. Wo der Mann sich jetzt aufhält, wissen die Behörden nicht. Es soll sich um einen 23-jährigen Mann aus Mazedonien handeln, der nach einem Beschluss des Amtsgerichts Gotha abgeschoben werden sollte. Um sich der Abschiebung zu entziehen, reiste der Mann durch Deutschland. In Leverkusen wurde er verhaftet. Der Versuch, ihn im nordrhein-westfälischen Abschiebegefängnis Büren unterzubringen, scheiterte, weil alle 120 Plätze belegt waren.

In „normalen“ Gefängnissen dürfen ausreisepflichtige Asylbewerber laut Gesetz nicht untergebracht werden. Warum es nicht gelang, den 23-Jährigen in einem anderen deutschen Abschiebegefängnis unterzubringen, ist unklar.