Guido Westerwelle im Interview: „Europa muss solidarisch sein“
Außenminister Guido Westerwelle fordert Zusammenhalt und Reformen von den Mitgliedern der Europäischen Union.
Berlin. Natürlich muss sich ein Außenminister immer diplomatisch zurückhalten, wenn er über andere Staaten redet. Doch ist das, was Guido Westerwelle (FDP) im Gespräch mit unserer Zeitung sagte, trotzdem deutlich: Er verlangt von Ägypten Rechtsstaatlichkeit, von Berlusconi Selbstkritik und von der EU Solidarität mit Schuldenstaaten.
Herr Westerwelle, zu Beginn des Jahres waren Sie in Kairo und trafen den jetzigen Präsidenten Mursi. Wie sehen Sie die Entwicklung heute?
Guido Westerwelle: Ägypten ist und bleibt das Schlüsselland für die arabische Revolution. Leider ist die Demokratie noch nicht errungen; die Lage bleibt fragil.
Ist das, was Präsident Mursi macht, ein Putschversuch der islamistischen Kräfte?
Westerwelle: Ich möchte unsere Einwirkungsmöglichkeiten nicht beschränken. Ich habe der ägyptischen Regierung und Präsident Mursi mehrfach deutlich gemacht, wie wichtig Pluralität und religiöse Toleranz, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung für die Demokratie sind.
Westerwelle: Das kann niemand vorhersagen. Ich muss leider noch mehr bestürzende Berichte über die Kriegshandlungen lesen, als in den Zeitungen stehen. Deshalb hoffe ich, dass das Leiden möglichst bald durch einen demokratischen Neubeginn beendet wird. Jedenfalls mehren sich die Anzeichen einer Erosion des Assad-Regimes.
Obwohl die Region ohnehin schon ein Pulverfass ist, liefert Deutschland massiv Waffen dorthin. Nach Saudi-Arabien, Katar, natürlich nach Israel. Kann das richtig sein?
Westerwelle: Diese von der Opposition angezettelte Debatte irritiert mich in zweierlei Hinsicht. Erstens sind die Beratungen des Bundessicherheitsrates schon seit Jahrzehnten geheim. Aus gutem Grund, denn es geht um hochsensible Sicherheitsinteressen. Und zum anderen beruhen große Waffenlieferungen, die derzeit erfolgen, noch auf Aufträgen und politischen Entscheidungen aus der Zeit vorheriger Regierungen.
Die Diskussion ist dadurch entstanden, dass Angela Merkel den Eindruck erweckt hat, sie schicke lieber Waffen als Soldaten. Man nennt das die Merkel-Doktrin.
Westerwelle: Es gibt keine solche Doktrin. Es bleibt bei der restriktiven Rüstungsexportpolitik Deutschlands und vor allem bei der von mir verantworteten Außenpolitik einer Kultur der militärischen Zurückhaltung.
Spaltet das Geld Europa?
Westerwelle: Nein, aber Europa ist zum ersten Mal in einer wirklichen Bewährungsprobe. Bisher war Europa immer eine Win-Win-Situation für alle. Jetzt muss sich zum ersten Mal Solidarität bewähren.
Gegen Deutschland wird in vielen Ländern polemisiert. Viele Deutsche empfinden das nicht gerade als sehr dankbar.
Westerwelle: Wenn in Griechenland ein Demonstrant ein Bild hochhält, das Angela Merkel diffamiert, dann ist das doch nicht Griechenland oder die Meinung der Griechen. Dort gab es gerade Wahlen mit einer Bestätigung der proeuropäischen Kräfte. Ebenso in den Niederlanden.
Ist Berlusconi denn Italien? Er macht einen antideutschen Wahlkampf.
Westerwelle: Wir werden uns als deutsche Regierung nicht in den italienischen Wahlkampf einmischen. Allerdings muss eines klar sein: Die Reformpolitik in Italien muss fortgesetzt werden. Im Interesse Italiens und seiner Gesundung, aber auch im Interesse Europas und unserer gemeinsamen Stabilität. Deutschland und Europa haben die Probleme in Italien nicht verursacht. Das waren andere, nämlich auch Verantwortungsträger in Italien, die den Reformnotwendigkeiten in der Vergangenheit nicht nachgekommen sind.
Das ist sehr verklausuliert formuliert.
Westerwelle: Nein, diplomatisch.
Wurde die Euro-Rettung vielleicht zu wenig erklärt?
Westerwelle: Natürlich erinnern die Begriffe, die wir in der Europapolitik derzeit benutzen, fast schon an Apothekersprache: ESM, EFSF, Fiskalpakt, Sixpack — kaum ein Bürger wird das alles komplett verstehen können. Trotzdem spüren die Menschen, dass die Bewältigung der Schuldenkrise bei dieser Bundesregierung in guten Händen ist. Es gibt ein Grundvertrauen in unsere Strategie und Kompetenz, und das ist auch gerechtfertigt.