Pflegekassen betrogen 230 russisch-eurasische Pflegedienste im Betrugsverdacht
Düsseldorf (dpa) - Bundesweit stehen 230 ambulante Pflegedienste unter Verdacht, mit betrügerischen Abrechnungen den Sozialkassen gigantische Schäden verursacht zu haben. Ermittelt wird gegen fast 300 Verdächtige.
„Unsere Beschuldigten sind russischsprachige Deutsche“, sagte ein Sprecher der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft. Es handele sich um eine organisierte Form“ des Betrugs. Viele der Betreiber sollen auch in andere kriminelle Machenschaften verwickelt sein, darunter Geldwäsche, Schutzgeldzahlungen und Glücksspiel.
Die Anbieter sollen systematisch nicht erbrachte Leistungen abgerechnet und dabei gemeinsame Sache mit Patienten und Ärzten gemacht haben. Der Verdacht ist seit längerem bekannt. Ermittelt wird seit 2014. Nach einer älteren Einschätzung des BKA könnten den Sozialkassen mit betrügerischen Abrechnungen solcher Pflegedienste mindestens eine Milliarde Euro Schaden pro Jahr entstanden sein.
Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt NRW bestätigten, dass inzwischen ein Abschlussbericht einer Sonderermittlungsgruppe von Bundeskriminalamt und Landeskriminalamt NRW vorliegt. Die Tageszeitung „Die Welt“ und der Bayerische Rundfunk hatten unter Berufung auf das ihnen vorliegende Dokument zuerst berichtet.
Dem Sonderbericht zufolge sollen zwei Drittel der betrügerischen Pflegedienste in bundesweiten Netzwerken agiert haben. Regionale Schwerpunkte sind demnach NRW und Berlin, außerdem Niedersachsen, Brandenburg und Bayern. Gesteuert worden sein sollen die Netze überwiegend von Berlin aus.
Die Verdächtigen sollen häufig aus Russland oder der Ukraine stammen. Die Anklageschrift gegen neun Hauptverdächtige, von denen vier in Untersuchungshaft sitzen, ist noch nicht fertig, wie die Staatsanwaltschaft berichtete.
Die Bundesregierung hatte die Krankenkassen durch eine Gesetzesänderung allerdings bereits mit zusätzlichen Kontrollbefugnissen ausgestattet. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warf Bund und Ländern dennoch vor, es „der organisierten Kriminalität in der Pflege zu leicht“ zu machen.
Es fehle an Schwerpunktstaatsanwaltschaften und speziellen Ermittlungsgruppen, sagte der Stiftungsvorsitzende Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. Würden Identitäten der Antragsteller nicht überprüft, überrasche es nicht, wenn eine Person unter wechselnden Namen mehrfach Pflegeleistungen erhalte. „Das ist naiv und verstößt gegen geltendes Recht“, sagte Brysch und forderte, Pflegeleistungen elektronisch abzurechnen und eine einheitliche lebenslange Patientennummer einzuführen.
Im vergangenen September waren Polizisten in der Sache zu einer bundesweiten Razzia ausgerückt. 108 Objekte wurden durchsucht, rund 500 Polizisten, Staatsanwälte, Zöllner und Steuerfahnder waren im Einsatz. Über Scheinfirmen seien viele Millionen Euro aus Pflegediensten herausgezogen worden, hieß es damals. Insgesamt stellten die Ermittler mehrere hundert Umzugskartons mit Akten und etwa 70 Terabyte an digitalen Daten sicher. Es wurden auch zwei unbrauchbare Kalaschnikows und zwei weitere halbautomatische Waffen mit Munition entdeckt.