Ägypter im Wahlfieber bei erster freier Präsidentenwahl
Kairo (dpa) - Richtungswahl in Ägypten: Mit einem Ansturm auf die Wahllokale hat in Ägypten die erste demokratische Präsidentenwahl in der Geschichte des Landes begonnen. Die Wahllokale blieben bereits am ersten Wahltag wegen des großen Andrangs eine Stunde länger offen.
Mehr als 50 Millionen Ägypter sind aufgerufen, bis zum Donnerstagabend aus zwölf Kandidaten einen Nachfolger für den im Februar 2011 gestürzten Langzeitmachthaber Husni Mubarak zu bestimmen.
Die Wahl entscheidet, ob das bevölkerungsreichste arabische Land demnächst von einem säkularen Polit-Profi aus dem ehemaligen Mubarak-Regime oder von einem Islamisten regiert wird. Das wird sich nicht nur auf die politische und wirtschaftliche Zukunft des Landes auswirken, sondern möglicherweise auch auf das Verhältnis zu Israel.
Das Ergebnis wird an diesem Samstag erwartet. Nach letzten Umfragen wird kein Kandidat die absolute Mehrheit erreichen, so dass am 16. und 17. Juni eine Stichwahl fällig wird.
Die Abstimmung verlief auch wegen der großen Präsenz von Soldaten und Polizisten weitgehend friedlich. Viele Wähler erklärten jedoch, sie hätten Angst vor einer neuen Welle der Gewalt, weil einige der Kandidaten ihre Niederlage womöglich nicht akzeptieren würden.
Seit dem Sturz des Mubarak-Regimes herrscht in Ägypten ein Militärrat. Die Generäle haben versprochen, sich Ende Juni aus der Politik zurückzuziehen, wenn der Präsident vereidigt und eine neue Verfassung beschlossen ist.
Auf den Stimmzetteln standen zwar 13 Namen, aber ein Bewerber hatte seine Kandidatur zurückgezogen. Zu einem Boykott der Wahl riefen lediglich einige der sogenannten Revolutionsgarden auf, die mit ihren Protestaktionen im Februar 2011 den Sturz von Mubarak erreicht hatten. Sie protestierten gegen den aus ihrer Sicht undemokratisch handelnden Militärrat.
Zu den säkularen Kandidaten, die nach Umfragen die besten Chancen haben, zählen der ehemalige ägyptische Außenminister sowie Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, und der ehemalige Luftfahrtminister, Ahmed Schafik. Aus dem Lager der Islamisten sind Abdel Moneim Abdul Futuh und der Muslimbruder Mohammed Mursi Favoriten. Als gut platzierter Außenseiter gilt der linke Aktivist Hamdien Sabbahi. Er erklärte nach seiner Stimmabgabe vor Reportern: „Das Wichtigste ist, dass diese Wahlen sauber und fair ablaufen. Wenn dies nicht der Fall ist, dann muss sich die Gesellschaft zur Wehr setzen.“
Kaum hatten die Wahllokale geöffnet, verbreitete sich das Gerücht, der aussichtsreiche Kandidat Schafik habe einen Herzinfarkt erlitten. Schafik trat daraufhin in Kairo vor die Presse.
Einige Beobachter berichteten am Mittwoch über Versuche von Wahlleitern, die Wähler zugunsten eines bestimmten Kandidaten zu beeinflussen. Besonders aktiv waren nach Angaben von Menschenrechtlern die Anhänger Schafiks und der beiden Favoriten aus dem Lager der Islamisten, Abdul Futuh und Mursi. „Unsere Wahlbeobachter haben selbst gehört, wie Mitglieder der Wahlkommission einzelnen Wählern, die nicht lesen können, gesagt haben, wo sie ihr Kreuz machen sollen“, sagte Scherin Talaat von der Kampagne des Kandidaten Chalid Ali.
Vor vielen Wahllokalen bildeten sich am Morgen lange Warteschlangen, die allerdings kürzer waren als bei der ersten Parlamentswahl nach dem Sturz von Präsident Husni Mubarak. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden zehn Wähler im Gedränge ohnmächtig. Frauen und Männer stellten sich diesmal getrennt an und wählten auch in getrennten Räumlichkeiten. Damit sollte ermöglicht werden, dass weibliche Beisitzer der Wahlkomitees die Identität von Frauen mit Gesichtsschleier überprüfen.
Vor einigen Wahllokalen in der südlichen Stadt Luxor verteilten junge Aktivisten am Mittwoch Zettel mit der Aufschrift: „Schnappt die Überreste des alten Regimes!“ Mit ihrer Kampagne wollten sie die Wähler davon abhalten, ihre Stimme einem ehemaligen Funktionär wie Ahmed Schafik zu geben.