„Fangprämien“ von Kliniken im Visier - Ärzte wehren sich
Berlin/Nürnberg (dpa) - Korruptions-Alarm im Gesundheitswesen: Viele Ärzte sollen illegale Extra-Honorare für Überweisungen von Patienten an Kliniken kassieren. Eine am Dienstag vorgelegte Studie im Auftrag der Krankenkassen geht von einer enormen Dimension bei solchen „Fangprämien“ aus.
Die Ärzte wiesen die Vorwürfe zum Start des 115. Deutschen Ärztetags in Nürnberg energisch als pure Polemik zurück - und warnten ihrerseits vor einem Ende der Freiheit der Arzt-Patienten-Beziehung durch Bevormundung durch Staat und Kassen.
Laut der Studie der Universität Halle-Wittenberg im Auftrag des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zahlt nahezu jede vierte Klinik (24 Prozent) Prämien, um Patienten zu ihren Häusern zu lotsen. Fast die Hälfte (46 Prozent) der nichtärztlichen Leistungserbringer wie Sanitätshäuser, Hörgeräte-Akustiker oder Orthopädie-Schuhmacher hätten zugegeben, schon Vorteile wie Geld, Kostenübernahme von Tagungen oder Sachleistungen erhalten zu haben. 19 Prozent der befragten Ärzte gaben an, das Verbot, sich an der Zuweisung von Patienten zu bereichern oder dafür Vorteile zu gewähren, nicht zu kennen.
Die Krankenkassen kritisierten ein „erhebliches Korruptionspotenzial“ im Gesundheitswesen. „Ärzte, die weiter an Zuweisungen gegen Entgelt festhalten, müssen damit rechnen, ihre Zulassung zu verlieren“, drohte Kassenverbands-Vorstand Gernot Kiefer. Krankenhäusern dürften für die Zuweisung von Patienten weder Entgelte zahlen noch wirtschaftliche Vorteile gewähren oder versprechen.
Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) forderte die Kassen zum Handeln auf. „Die Gesetzeslage ist klar“, sagte Bahr der Deutschen Presse-Agentur. „Wenn ein Arzt gegen Entgelt in Kliniken zuweist, muss das geahndet werden.“ Die Kassen müssten Verdachtsfällen konkret nachgehen und Konsequenzen ziehen. Eine Studie alleine reiche aber nicht aus. Daten über einen Anstieg solcher Fälle lägen nicht vor.
Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery warf den Autoren der Studie vor den Delegierten des Ärztetags Stimmungsmache gegen Mediziner vor. Er forderte die Kassen zur Anzeige der „schwarzen Schafe“ auf. „Die Kassen sollen Ross und Reiter nennen, wenn sie das können.“ Nach Montgomerys Worten ist an vielen Fällen, die den Anti-Korruptions-Einrichtungen vorgelegt wurden, „nichts dran“. Auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler, verwahrte sich gegen Pauschalverurteilungen.
Bereits zur Eröffnung des Ärztetags warnte Montgomery vor 1100 Gästen davor, dass Ärzte nach einem mit Spannung erwarteten Urteil des Bundesgerichtshofs als Kassen-Beauftragte gewertet werden könnten. Sie könnten dann leichter der Korruption beschuldigt werden. „Das wäre der Tod jeder freien Medizin.“ Ein SPD-Antrag gegen Korruption in Praxen und Kliniken diene dem Abbau von Freiheit. „Das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten soll unterminiert, ausgehöhlt und zerstört werden“, sagte Montgomery.
Im Schulterschluss mit Bahr verwahrten sich die Ärzte auch gegen andere Reformforderungen. Die unter Druck stehende private Krankenversicherung (PKV) wollen die Ärzte in heutiger Form erhalten. Insbesondere gegen die Pläne von SPD, Grünen und Linken für eine Bürgerversicherung für möglichst alle Menschen ziehen die Ärzte zu Felde. Weniger Leistungen, weniger Neuerungen und mehr Zwei-Klassen-Medizin mit besserer Versorgung für Gutverdiener wäre die Folge, so Montgomery. Nur sie könnten sich dann mehr leisten.
Mit auffällig deckungsgleichen Argumenten in zentralen Punkten zog Bahr die Ärzte auf seine Seite. So forderte der FDP-Minister die PKV zum Abstellen von Fehlentwicklungen auf, um die Zweiteilung in private und gesetzliche Versicherung im Grundsatz zu erhalten. Die Privatkassen sollten keine billigen Lockangebote mehr für junge Gesunde machen. Diese Rosinenpickerei schade der Branche.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erntete wütende Zwischenrufe mit seinem Plädoyer für eine Grundsatzreform. In einer eindringlichen Debatte warnten zahlreiche Ärzte vor einer Übermacht ökonomischer Zwänge vor medizinischen Erwägungen.
Montgomery wie Bahr forderten, den Großteil der Milliardenüberschüsse der GKV für schlechte Zeiten zu belassen. Auf die Zehn-Euro-Praxisgebühr könne aber verzichtet werden.