Analyse: Afghanistan und das Dilemma der Kirche
Warum auch die Reise an den Hindukusch Nikolaus Schneider nicht recht weiterbrachte.
Düsseldorf. „Nichts ist gut in Afghanistan“. Diesen Satz von Margot Käßmann kann der neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, nicht unkommentiert lassen. Vier Tage hat sich der Chef von knapp 25 Millionen Protestanten in Deutschland ein Bild von der Lage am Hindukusch gemacht. Zwar betont Schneider nach seiner Rückkehr, Käßmanns Satz sei „richtig und nötig“ gewesen. Doch kommt er zu einer differenzierteren Bewertung des bald zehnjährigen Einsatzes der Bundeswehr. Und er macht keinen Hehl daraus, dass die Kirche in einem unauflöslichen Dilemma steckt.
In der Seelsorge werden die Militärpfarrer in Afghanistan inzwischen weniger mit familiären Nöten der Soldaten konfrontiert als mit ethischen Fragen: „Was ist, wenn ich einen Menschen töten muss? Was ist, wenn ich im Gefecht falle?“ Auch die Führung der Internationalen Schutztruppe Isaf hat den Abgesandten der Kirche klar gemacht, dass die Soldaten „am heißen Ende“ ihres Einsatzes angekommen seien. „Das heißt, sie müssen schießen“, sagt Schneider.
Angesichts der lebensbedrohlichen Situation für die oft von Aufständischen angegriffenen Soldaten könne er das „nicht unverantwortlich finden“, sagt Schneider. „Ich kann nicht sagen, dass das verwerflich wäre, ich kann aber auch nicht sagen, dass ich es rechtfertige.“ So könne er sich nur mit einer Formulierung helfen: „Ich kann es hinnehmen.“
Zwar erneuert Schneider die Forderung der Kirche nach einem möglichst baldigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Gleichwohl hat er auch aufmerksam den zivilen Aufbauhelfern zugehört, die das internationale Militär „zurzeit“ noch brauchten, um die Arbeit in dem kriegszerstörten Land abzusichern.
„Ich komme aus dem Dilemma nicht heraus“, ist das Fazit des Ratschefs. Dass es auch unterschiedliche Meinungen innerhalb der Kirche gebe, akzeptiere er. Und deshalb hat Schneider mit dem kriegskritischen EKD-Friedensbeauftragten Renke Brahms und dem weniger ablehnenden Militärbischof Martin Dutzmann zwei Vertreter unterschiedlicher Flügel in der EKD mitgenommen.
Eines ist der Kirche nach der Reise klar. Sie ist gezwungen, auch den jahrzehntealten Leitspruch „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ zu überdenken. „Es ist eine Situation, in der man nicht nichts tun kann“, sagt auch der Friedensbeauftragte Brahms. Man würde sich schuldig machen, wenn man die Menschen in Afghanistan einfach ihrem Schicksal überließe.