Gesetzentwurf Behinderten-Gesetz: Barrierefrei nur in Trippelschritten

Behinderten-Gesetz der Regierung stößt sogar in den eigenen Reihen auf Kritik.

Die Behindertenbeauftragte Verena Bentele (SPD) kritisierte den neuen Gestzentwurf als zum Teil lebensfremd.

Die Behindertenbeauftragte Verena Bentele (SPD) kritisierte den neuen Gestzentwurf als zum Teil lebensfremd.

Foto: Rainer Jensen/dpa Archiv

Berlin. Es ist selten, dass ein Regierungsmitglied einen Gesetzentwurf der Regierung im Parlament kritisiert. Verena Bentele (SPD) hat das am Donnerstag getan. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung bezeichnete die geplante Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes als unzureichend und zum Teil lebensfremd. Sie stand mit der Kritik nicht allein.

Das Behindertengleichstellungsgesetz gibt es seit 2002. Es wird jetzt reformiert, um Lücken zu schließen, die sich in der Praxis ergeben haben. Es geht um Barrierefreiheit - in den Gebäuden, aber auch in der Kommunikation. So werden die Verwaltungen angehalten, ihre Internetangebote für Behinderte nutzbarer zu machen und Gesetze, Verordnungen und Bescheide auch in "leichter Sprache" zur Verfügung zu stellen. Neu ist auch die Schaffung einer bundesweiten Schlichtungsstelle, die Beschwerden regeln soll.

Das Gesetz ist jedoch nur für die Bundes- und Landesverwaltungen verbindlich; für die Privatwirtschaft gilt weiterhin der Grundsatz freiwilliger Vereinbarungen mit den Behindertenverbänden. Hinzu kommt jetzt allerdings die Schaffung einer zentralen Beratungsstelle, wo sich Private informieren können. Bei dieser Einschränkung des Geltungsbereiches setzt die Kritik Benteles an. Die von Geburt an blinde, 34jährige Politikerin, die als Behindertensportlerin im Biathlon zahlreiche Paralympics-Goldmedaillen gewann, sagte, das Gesetz bleibe deutlich hinter ihren Zielen zurück. Es sei "lebensfremd" zwischen privaten und bundeseigenen Gebäuden zu unterscheiden. Alles, was öffentlich zugänglich sei, "von der Kneipe bis zum Bundestag", müsse barrierefrei sein. Und zwar nicht nur die Zugänge, sondern auch die Toiletten und die Fahrstühle. Die USA, aber auch Österreich seien da weiter. Bentele schilderte ein persönliches Beispiel: In einem Fahrstuhl habe es nur einen stummen Touchscreen für die Eingabe der gewünschten Etage gegeben - für sie nicht nutzbar.

Und selbst bei den öffentlichen Gebäuden sei das Gesetz zu unverbindlich. Hier enthält die Reform nur die Pflicht, bis 2021 über bestehende Barrieren zu berichten. "Davon werden sie nicht beseitigt", klagte die Behindertenbeauftragte. Die anderen geplanten Regelungen begrüßte sie. Insbesondere, dass ein Partizipationsfonds eingerichtet werden soll, um Behindertenvertretungen zu finanzieren. "Nichts über uns ohne uns" müsse der Grundsatz sein, so Bentele.

Ihre grundsätzliche Kritik wurde auch von der Opposition geteilt. Die Links-Politikerin Katrin Werner sagte, es fehle der Regierung "Mut und Wille", auch die Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit zu verpflichten. Für die Grünen sagte Corinna Rüffer an die Adresse der Regierung: "Ihre Reden von Teilhabe sind Sonntagsreden". In Ländern, die schärfere Regelungen hätten, sei die Wirtschaft auch nicht zusammengebrochen. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) ging auf diese Grundsatzkritik nicht ein. Sie stellte die Details des Gesetzes im Namen der Regierung vor - und hielt zum ersten Mal im Bundestag eine komplette Rede in einfacher Sprache: "Ab jetzt spreche ich einfach. Das passiert hier ganz selten". Ihren ungewöhnlichen Vortrag schloss sie mit den Worten: "So, das war meine erste Rede in einfacher Sprache. Ich fand das sehr schwierig".