Behörden fürchten Eskalation bei Koran-Verteilung
Berlin (dpa) - Der Verfassungsschutz sieht eine Propagandaaktion, der Zentralrat der Muslime ist besorgt und Rechtspopulisten organisieren Proteste: Die Verteilung von kostenlosen Koranen in deutschen Städten durch Salafisten schürt Ängste in vielerlei Hinsicht.
Islamisten wollen an diesem Samstag in mehr als 30 deutschen Städten Koran-Exemplare verschenken. Der Verfassungsschutz wertet die Aktion als Versuch, Propaganda zu betreiben und Anhänger zu rekrutieren. Die rechtspopulistische Splitterpartei Pro NRW hat zur Landtagswahl im Mai zu einem „islamkritischen Karikaturenwettbewerb“ aufgerufen. Die Ergebnisse sollen vor Moscheen ausgestellt werden.
In sozialen Netzwerken rufen inzwischen Rechtsextremisten zu Protestaktionen gegen die kostenlose Verteilung der Koran-Exemplare auf. Die geplanten rund 25 Millionen Bücher sollen nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz und Österreich sowie über das Internet verschenkt werden. Die Gratis-Aktion könne nur verhindert werden, wenn sie im Zusammenhang mit Straftaten stünden oder Ordnungswidrigkeiten vorlägen, hieß es am Freitag aus Berliner Sicherheitskreisen.
Bei den Aktionen an diesem Samstag könnte es nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zu Zwischenfällen kommen. „Womöglich kommt es zu Handgemengen der Salafisten mit ihren Gegnern“, sagte der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut der „Neuen Osnabrücker Zeitung“(Samstag). „Bei Vorkommnissen wird die Polizei sofort zur Stelle sein und einschreiten.“
Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, sagte der Nachrichtenagentur dpa, er fürchte, dass der Koran-Verteilung Gegenprovokationen folgen könnten. „Wir haben in Nordrhein-Westfalen jetzt Wahlkampf, und rechte Gruppen nutzen das jetzt für sich. Sie rufen ihre Leute auf, vor Moscheen zu postieren“, sagte er. „Das ist bekannt: Provokation ruft Gegenprovokationen hervor. Es sind Hardliner unterwegs hüben wie drüben, Brüder im Geiste.“
NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hatte bereits angekündigt, das Vorhaben von Pro NRW - wenn möglich - verhindern zu wollen. Die Veröffentlichung von zwölf dänischen Mohammed-Karikaturen hatte 2005 in der islamischen Welt zu teils gewalttätigen Protesten geführt.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, man nehme die aktuellen salafistischen Bestrebungen sehr ernst. Die Salafisten seien seit geraumer Zeit im Visier der Verfassungsschutzbehörden und würden seit Ende 2010 unter anderem auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz warnte vor der Aktion. „Es geht hier um salafistische Propaganda und die Rekrutierung von Anhängern. Der Koran ist nur ein Vehikel“, sagte Behördensprecher Bodo W. Becker dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau wies darauf hin, dass im Islam jedes Koran-Exemplar eine extrem große Bedeutung habe. Das Buch dürfe also nach der Annahme nicht einfach auf den Boden gelegt werden. „Das ist für Muslime völlig undenkbar. Das sollten die Leute wissen, die das annehmen.“ Der Religionssoziologe Rauf Ceylan der Universität Osnabrück sagte der dpa, eines hätten die Salafisten erreicht: Aufmerksamkeit. „Jeder spricht jetzt über Salafisten.“
Der integrationspolitische Sprecher der FDP, Serkan Tören, verlangte die Ausweisung radikaler Islamisten. „Nichtdeutsche Salafisten, die gegen die Verfassung verstoßen, müssen ausgewiesen werden“, sagte der Politiker, der selbst Muslim ist, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Der Chef des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte der dpa, Hassprediger könnten bereits abgeschoben werden. Davon müsse man konsequent Gebrauch machen. „Haben sie aber auch die deutsche Staatsangehörigkeit, sind ausländerrechtliche Maßnahmen natürlich ausgeschlossen.“
Der Arabistik-Professor Thomas Bauer rechnet jedoch nicht damit, dass ein durch Salafisten übersetzter Koran viele Deutsche überzeugen wird. „Es gibt sehr schöne Übersetzungen. Aber die schönen sind in der Regel nicht die salafistischen“, sagte der Wissenschaftler vom Forschungsverbund Religion und Politik an der Universität Münster.
Der Vorstandsvorsitzende eines der größten Berliner Moschee-Vereine, der Sehitlik-Gemeinde, hält die Übersetzung zwar für gelungen. Die Salafisten sieht Ender Cetin aber als „als rückständige, ultraorthodoxe Strömung im Islam“, die nicht mehrheitsfähig ist. „Der Islam ist vielfältig. Das Problem ist, dass die Salafisten keine Vielfalt zulassen.“ Deshalb hätten sie in Deutschland auch keine Chance, sich durchzusetzen, sagte er der dpa.