Beschneidung: Berlin reagiert auf Rabbiner
Heftige Kritik jüdischer Verbände an Kölner Urteil setzt Bundesregierung unter Zugzwang. Hohe Gerichte sollen entscheiden.
Berlin. Die Bundesregierung hat lange gebraucht, um auf das Beschneidungsverbot des Kölner Landgerichts zu reagieren. Mehr als zwei Wochen lang ließen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die zuständige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) einen internationalen Sturm der Entrüstung über sich ergehen, ohne klar Stellung zu beziehen.
Der Parlamentsausschuss der israelischen Knesset lud den deutschen Botschafter vor, um eine Erklärung für die richterliche Bewertung der religiösen Beschneidung als Körperverletzung zu bekommen. Die jüdische Menschenrechtsorganisation Simon Wiesenthal Center schickte einen Protestbrief an Merkel, und der türkische Europaminister Egemen Bagis bezeichnete das Urteil als Dummheit.
Ihren Höhepunkt erreichte die Welle der Empörung aber erst am Donnerstag, als der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner in Berlin vor die Presse trat, und nicht weniger als das Ende des Judentums in Deutschland prophezeite, wenn sich das Urteil durchsetz. „Sollte das Urteil Bestand haben, sehe ich für die Juden in Deutschland keine Zukunft“, sagte Pinchas Goldschmidt. In einer Erklärung hatte er von einer „der schwersten Attacken auf jüdisches Leben in Europa in der Post-Holocaust-Welt“ gesprochen.
Keine 24 Stunden nach dem Auftritt des Rabbiners, aber erst geschlagene 17 Tage nach dem Kölner Urteil, versprach Regierungssprecher Steffen Seibert gestern genau das, was jüdische und muslimische Organisationen von der Bundesregierung fordern: Eine schnelle rechtliche Klarstellung. Wie die aussehen kann, ließ er allerdings offen. Und noch unklarer ist, wie man schnell zu einem zufriedenstellenden Ergebnis kommen will.
Das Justizministerium ist bei dem Thema bisher auf die Bremse getreten. Es handelt sich um eine komplizierte verfassungsrechtliche Frage, in der sich zwei unabänderliche Grundrechte ineinander verhaken: das Recht auf freie Religionsausübung und das auf körperliche Unversehrtheit. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat deswegen zunächst einmal eine gründliche juristische Prüfung in ihrem Hause angeordnet.
Demnach zeichnet sich im Bundestag ein Konsens darüber ab, dass eine Legalisierung der Beschneidung per Gesetzesinitiative der richtige Weg ist, um politische Handlungsfähigkeit zu beweisen. „Das Warten auf das Bundesverfassungsgericht ist noch keine Haltung“, erklärte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. „Das Parlament muss seinen Gestaltungsspielraum nutzen.“
Zugleich dürfte der Versuch gestartet werden, einen Präzendenzfall zu schaffen, um eine gerichtliche Klärung zu bekommen. Dazu müssten erneut Eltern oder ein Arzt wegen Beschneidung eines Kindes verklagt werden.