Betreuungsgeld stürzt CDU in Zerreißprobe
Berlin (dpa) - Auch nach dem klaren Bekenntnis von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Einführung eines Betreuungsgeldes ab 2013 wächst der Widerstand in der Union.
Der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Norbert Barthle (CDU), regte eine Verschiebung an: „Ich kann mir vorstellen, die Leistung zu beschließen, sie aber später als geplant auszuzahlen“, sagte er der Berliner „Tageszeitung“ (taz/Mittwoch).
Es handle sich um eine Mehrausgabe, die man sich reiflich überlegen müsse. Die Erfahrung lehre, dass die Kosten für solche Vorhaben oft teuer würden, sagte Barthle.
Dagegen sagte der Parlamentarische Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier im Programm von „Phoenix“: „Wir werden das Betreuungsgeld umsetzen.“ Der Gesetzesentwurf werde Fehlanreize vermeiden und Kritiker überzeugen.
Gegenwind für diese Position kam aus dem mächtigen CDU-Landesverband Baden-Württemberg. Landeschef Thomas Strobl sagte am Dienstag im dpa-Gespräch voraus, der Gesetzentwurf werde aus dem Bundestag anders herauskommen, als er hereinkomme. Strobl kann sich gut vorstellen, den Streit über eine bessere Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung zu lösen.
Der Hamburger CDU-Abgeordnete Jürgen Klimke schloss sich den bislang 23 Fraktionskollegen an, die mit der möglichen Ablehnung der bisherigen Pläne im Bundestag gedroht haben. Klimke befürchtet dadurch eine Fehlsteuerung von Sozialleistungen. Die Mittel für das Betreuungsgeld fehlten dann an anderer Stelle, sagte er dem „Hamburger Abendblatt“.
Nach Ansicht von Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt geht das Vorhaben in eine völlig falsche Richtung. „Das Betreuungsgeld ist nach meiner Überzeugung grundverkehrt. Ich hoffe sehr, dass die Koalition von diesem unsinnigen Vorhaben Abstand nimmt“, sagte er der „Bild“-Zeitung.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund verlangte ebenfalls, auf das Projekt zu verzichten. „Solange der Ausbau der Kindergartenplätze nach wie vor unterfinanziert ist, sollten zusätzliche Mittel besser dafür eingesetzt werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg „Handelsblatt Online“.
Die Kosten für das Betreuungsgeld drohen laut „Financial Times Deutschland“ deutlich höher auszufallen als bislang angenommen. Demnach könnten jährlich Eltern von rund 1,1 Millionen Kindern die geplante Barzahlung in Anspruch nehmen - rund 445 000 mehr als nach Kalkulation der Regierung. So gehe das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW/Mannheim) von Kosten in Höhe von rund 2 Milliarden jährlich aus, da nicht genügend Betreuungsplätze zur Verfügung stünden.
Die Regierung veranschlagt bislang für 2014 Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Die monatliche Leistung für Eltern, die ihre Kleinkinder zu Hause erziehen, soll nach Vorstellungen von CDU/CSU ab 2013 zunächst 100 Euro und danach 150 Euro betragen.
Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums ist offen, ob der Bundesrat dem vor allem von der CSU geforderten Betreuungsgeld zustimmen muss. Dies hänge vom Inhalt des erst für den Sommer angekündigten Gesetzentwurfs ab, erklärte Sprecher Christoph Steegmans. Falls deswegen Länder zusätzlich Personal einstellen müssten, könne die Mitsprache des Bundesrats notwendig werden. In diesem Fall könnten die SPD-geführten Länder das Vorhaben blockieren.
Heftig gerungen wird in der Union darüber, ob die neue Leistung bar an die Eltern ausgezahlt werden soll. Der CDU-Landeschef in Schleswig-Holstein, Jost de Jager, wandte sich dagegen. CSU-Vize-Generalsekretärin Dorothee Bär lehnte eine solche Kursänderung in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ strikt ab.
Die Vorsitzende der Frauen in der Unions-Fraktion, Rita Pawelski (CDU), warb in der „taz“ (Dienstag) für einen Kompromiss: „Eine Lösung wäre, das Betreuungsgeld nicht ausschließlich bar auszuzahlen. Der Staat könnte alternativ dem Elternteil, das zu Hause bleibt, nachhaltige Hilfen finanzieren.“
Thüringen wird bei einer bundesweiten Einführung des Betreuungsgeldes seine Landesprämie wahrscheinlich streichen. Ansonsten gebe es eine unvertretbare Doppelförderung, sagte Sozialministerin Heike Taubert (SPD). Das Land zahlt derzeit für Kinder nach dem ersten Geburtstag ein Erziehungsgeld von in der Regel monatlich 150 Euro an Eltern, die ihren Nachwuchs zu Hause betreuen.
Die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hatte am Montag über Regierungssprecher Steffen Seibert deutlich gemacht, dass sie an der Koalitionsvereinbarung festhalten will. Aus der FDP kam neue Kritik. „Das Betreuungsgeld passt nicht in die Zeit“, sagte Generalsekretär Patrick Döring der „Passauer Neuen Presse“.
Die Opposition sieht die Kanzlerin wegen des Konflikts zunehmend handlungsunfähig. „Merkels Machtworte verhallen im Chaos der Koalition“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast zeigte sich überzeugt: „Mit der Herdprämie stellt sich Merkel gegen die Interessen von Frauen, Kindern, Gesellschaft und Wirtschaft.“ Die Linke forderte Merkel auf, „sich endlich von der antiquierten Kinder-Küche-Kirchen-Ideologie der Unions-Fundis“ zu distanzieren.