Brüssel zieht ernüchternde Zwischenbilanz der Flüchtlingskrise
Brüssel/Istanbul (dpa) - Mit Druck und Solidaritäts-Appellen will die EU-Kommission mehr Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise erreichen. Gegenüber Deutschland und sechs anderen Staaten verschärft die Brüsseler Behörde die Gangart: Sie erwartet binnen zwei Monaten Verbesserungen im Asylsystem.
An die Adresse Ankaras sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos in Brüssel: „Wenn die Türkei nicht anfängt zu liefern, was wir vereinbart haben, wird es sehr, sehr schwierig, mit der Situation fertig zu werden.“ Der Kampf gegen Menschenschmuggler sei eine Frage des politischen Willens. Er legte am Mittwoch eine Bilanz vor zum Umgang Europas mit der Flüchtlingskrise vor.
Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu wies unterdessen die Forderung nach einer Grenzöffnung für Zehntausende Flüchtlinge aus Syrien als „Heuchelei“ zurück. Manche „Kreise“, darunter der UN-Sicherheitsrat, würden „für die Lösung der Syrienkrise keinen einzigen Finger krumm machen“, zitierte ihn die Nachrichtenagentur Anadolu bei einem Besuch in den Niederlanden. Gleichzeitig fordere man von der Türkei eine Öffnung der Grenze. Davutoglu forderte zudem eine eindeutige Verurteilung der russischen Luftschläge in Syrien.
Vor allem der Bürgerkrieg in Syrien treibt die Menschen zur Flucht. Die Nachbarländer Libanon und Jordanien haben zahlreiche Menschen aufgenommen - doch viele ziehen auch in die Türkei und die EU weiter.
Im Januar kamen pro Tag durchschnittlich 2186 Migranten aus der Türkei in Griechenland an - weniger als in den Vormonaten, aber nach Einschätzung der Behörde viel für die Jahreszeit. Beim Haupteintrittsland vieler Migranten auf dem Weg nach Europa sieht die EU-Kommission Licht und Schatten.
Positiv hob die Behörde hervor, dass inzwischen 78 Prozent der Flüchtlinge in Griechenland per Fingerabdruck registriert werden, gegenüber nur 8 Prozent im September. In Italien liegt die Quote inzwischen bei 87 Prozent. Allerdings sind in beiden Ländern bisher nur wenige der geplanten Registrierungszentren in Betrieb.
Zugleich drängte Avramopoulos darauf, dass Griechenland die Versorgung von Flüchtlingen verbessern müsse. Andere EU-Staaten schicken bereits seit Jahren keine Migranten mehr zurück nach Griechenland seit höchste europäische Gerichte die Bedingungen dort als fragwürdig eingestuft hatten. Nach den sogenannten Dublin-Regeln ist jener Staat für Asylverfahren verantwortlich, in dem Flüchtlinge zuerst den Boden der Europäischen Union betreten haben.
Auch die im Vorjahr vereinbarte Verteilung einer Gruppe von 160 000 Flüchtlingen innerhalb Europas ist bisher kaum vorangekommen. Andere EU-Staaten haben Italien und Griechenland bisher nur 497 Menschen abgenommen. „Er habe dazu mahnende Briefe an die Innenminister der EU-Staaten verschickt. „Es ist an der Zeit für alle, mehr Verantwortung zu zeigen.“
Österreich, das in der Flüchtlingskrise einen zunehmend harten Kurs fährt, will angesichts der „Notlage“ in dem Land in diesem Jahr 30 Prozent weniger Flüchtlinge als geplant aufnehmen. Eigentlich sollte das Land 1953 Menschen dieser Gruppe aufnehmen. „Österreich ist unter Druck“, sagte Avramopoulos.
Deutschland und sechs anderen EU-Staaten wirft die EU-Kommission Mängel im Asylsystem vor. Die Bundesregierung habe zwei EU-Richtlinien nicht richtig umgesetzt, in denen es um Mindestnormen für Asylverfahren und bei der Aufnahme von Bewerbern geht, hieß es. Die EU-Kommission treibt deshalb die bereits im September eröffneten Verfahren wegen Verletzung europäischen Rechts weiter voran.
Auch bei Estland, Slowenien, Griechenland, Frankreich, Italien und Lettland erwartet die EU-Kommission innerhalb von zwei Monaten Verbesserungen in Bezug auf eine oder beide Richtlinien.