Bundesregierung lässt Haltung zu Armenien-Resolution offen
Berlin (dpa) - Kanzlerin Merkel (CDU) will mit der Türkei nach dem Ärger der vergangenen Wochen wieder vernünftig ins Gespräch kommen. Die Bundesregierung widersprach aber entschieden einem „Spiegel“-Bericht, wonach sie aus Rücksicht auf Ankara zur Armenien-Resolution des Bundestags auf Distanz gehen wolle.
Zugleich stellte sie klar, dass sie sich juristisch an die Entschließung nicht gebunden fühlt.
Merkel selbst wird den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beim G20-Gipfel erstmals wiedersehen, der an diesem Wochenende in China beginnt. In der Resolution bezeichnete der Bundestag die Massaker an bis zu 1,5 Millionen Armeniern 1915/16 im Osmanischen Reich als „Völkermord“. Deshalb ist das Verhältnis zur Türkei schwer belastet. Zudem ist Ankara verstimmt, weil sich seit dem gescheiterten Putsch Mitte Juli kein hochrangiges deutsches Regierungsmitglied blicken ließ.
Regierungssprecher Steffen Seibert dementierte allerdings einen „Spiegel“-Bericht, wonach sich Merkel von der Resolution distanzieren wolle, um das Verhältnis zu Erdogan wieder aufzupolieren. „Davon kann überhaupt keine Rede sein“, sagte er. „Es steht der Bundesregierung nicht zu, sich in die Zuständigkeit eines anderen Verfassungsorgans einzumischen und sich dazu zu äußern.“ Seibert verwies aber auch darauf, dass die Resolution „rechtlich nicht verbindlich“ sei.
Ähnlich äußerte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier. „Der Deutsche Bundestag hat jedes Recht und die Freiheit, sich zu politischen Fragen zu äußern“, sagte der SPD-Politiker. Das Parlament sage aber auch selbst, dass „nicht jede Resolution eine rechtliche Bindungswirkung“ habe. Merkel und Steinmeier hatten sich an der Abstimmung im Bundestag Anfang Juni selbst nicht beteiligt. Beide erklärten sich aber damit einverstanden.
Aus Protest gegen die Resolution hatte die Türkei aus Berlin ihren Botschafter abgezogen. Zudem verweigert sie seither deutschen Abgeordneten den Besuch bei Bundeswehr-Soldaten, die im türkischen Incirlik stationiert sind. Nach Angaben des Auswärtigen Amts gibt es aus Ankara nun aber zumindest die Ankündigung, bald wieder einen Botschafter zu entsenden.
Der „Spiegel“-Bericht hatte in Berlin für erhebliche Unruhe gesorgt. Das Magazin meldete, dass sich Kanzleramt und Auswärtiges Amt mit Rücksicht auf Ankara auf eine Distanzierung von der Resolution verständigt hätten. Aus den Reihen der Koalition wurde dem Bericht sofort widersprochen. CDU-Generalsekretär Peter Tauber meinte: „Die Resolution war und ist richtig.“ SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann fügte hinzu: „Sie gilt ohne Wenn und Aber.“
Trotz viel Kritik an den Zuständen in der Türkei gehört das Nato-Land zu Deutschlands wichtigsten Partnern. Berlin hat besonders wegen des türkisch-europäischen Abkommens zur Lösung der Flüchtlingskrise großes Interesse an einer Zusammenarbeit. Die Türkei wiederum hofft auf eine baldige Visa-Befreiung für ihre Bürger. Seit der Niederschlagung des Militärputsches im Juli sieht sie sich jedoch neuen Vorwürfen wegen undemokratischen Zuständen ausgesetzt.
Die Bundeswehr hat im Süden der Türkei mehr als 200 Soldaten sowie sechs „Tornado“-Aufklärungsjets und ein Tankflugzeug stationiert. Sie sollen den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterstützen. Zuletzt hatte die Bundesregierung betont, sie wolle sich im Streit mit der Türkei über das Besuchsverbot nicht unter Druck setzen lassen. Aus Ankara gab es am Freitag zu der neuen Debatte zunächst keine Reaktion.
Die Linke hielt Merkel vor, mit einer „De-Facto-Distanzierung“ einen Kotau vor Erdogan zu machen. Ihr Ex-Fraktionschef Gregor Gysi sprach von einem „ungeheuerlichen Skandal“. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir verwies darauf, dass die Armenien-Resolution nur durch den Bundestag selbst außer Kraft gesetzt werden könne. Seine Co-Vorsitzende Simone Peter hielt der Bundesregierung vor, das Parlament brüskiert zu haben.
Im offiziellen Lexikon des Bundestags zu wichtigen parlamentarischen Begriffen heißt es: „In Entschließungen wird die Auffassung des Bundestages zu politischen Fragen zum Ausdruck gebracht und/oder die Bundesregierung zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert. Entschließungen sind rechtlich nicht verbindlich, sondern von politischer Bedeutung.“