Bundestag will Sterbebegleitung ausbauen

Berlin (dpa) - Mit großem Einfühlungsvermögen hat der Bundestag eine gesetzliche Neuregelung für die heiklen Themen Sterbebegleitung und Sterbehilfe angestoßen. Dabei zeichnete sich ein breiter Konsens für ein Verbot organisierter Sterbehilfe ab.

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Unterschiedliche Positionen wurden in der fast fünfstündigen Debatte bei der Frage deutlich, ob ein Arzt auf Wunsch eines extrem leidenden Patienten Sterbehilfe leisten darf und ob dies einer gesetzlichen Neuregelung bedarf.

Um Schmerzpatienten gar nicht erst in eine solche Notsituation kommen zu lassen, sprachen sich die Abgeordneten einmütig für den Ausbau von Betreuung und Begleitung sterbender Menschen aus. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sicherte zu, eine flächendeckende Palliativ- und Hospizversorgung in Deutschland aufbauen zu wollen.

Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) sagte zum Abschluss der Debatte: „Heute ist eine guter Tag für die Palliativmedizin und die Hospizbewegung in Deutschland.“ Das Thema Sterben sei aus der Tabuzone herausgeholt worden.

Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte zum Auftakt: „Mit diesem Tagesordnungsordnungspunkt beginnen wir das vielleicht anspruchsvollste Projekt dieser Legislaturperiode.“

Dem Bundestag lagen fünf Positionspapiere vor, die von Parlamentariergruppen quer durch die Fraktionen erarbeitet worden waren. Es ist offen, ob alle Gruppen tatsächlich jetzt einen Gesetzentwurf erarbeiten. Im Februar 2015 ist die erste Lesung geplant. In der zweiten Jahreshälfte soll, nach intensiver Erörterung, ein Gesetz verabschiedet werden.

In der breit angelegten Debatte zur Meinungsbildung meldeten sich knapp 50 Redner zu Wort. Hintze sagte, mit der Menschenwürde sei es nicht vereinbar, „wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod würde“. Es gebe Leiden, bei denen die Palliativmedizin an Grenzen stoße. Ein Arzt müsse beim friedlichen Einschlafen helfen dürfen. „Das will auch die große Mehrheit der Bevölkerung“, sagte Hintze. „Der Deutsche Bundestag sollte dieser Mehrheit eine Stimme geben.“

Hintze zählt zu einer Gruppe von Koalitionsabgeordneten unter anderem mit SPD-Fraktionsvize Carola Reimann und Karl Lauterbach (SPD). Diese will, dass ein Arzt des Vertrauens einem leidenden Sterbenden auf Wunsch ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen kann.

Gröhe lehnt - wie eine Mehrheit der Unionsfraktion - ärztlich assistierten Suizid ab. Auch eine Mehrheit der Ärzte sei dagegen. Einem sterbenskranken Schmerzpatienten könnten heute schon schmerzstillende Mittel verabreicht werden, auch wenn diese einen lebensverkürzenden Effekt hätten.

Unionsfraktionschef Volker Kauder plädierte dafür, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten zu stärken und nicht durch gesetzliche Regeln zu beeinträchtigen. Er begrüße es, dass eine Mehrheit der Ärzte dies ähnlich sehe.

Mehrere Abgeordnete brachten persönliche Erfahrungen ein. „Krankheit und Tod waren zuhause immer mit am Tisch“, sagte der CDU-Abgeordnete Michael Brand. Er warnte vor einer Regelung, die eine Tür öffne zu immer mehr Fällen von Sterbehilfe. Kathrin Vogler von der Linken mahnte, der Tod dürfe keine leicht erreichbare Dienstleistung werden.

Eine Gruppe von Linken- und Grünen-Abgeordneten um Renate Künast (Grüne) sprach sich als einzige gegen ein Verbot von Sterbehilfevereinen aus. Diese dürften nicht gewinnorientiert arbeiten und sollten scharfen Reglementierungen unterzogen werden. Künast plädierte dafür, den Menschen in der letzten Lebensphase die Hand zu reichen. „Das kostet Personal, Ausbildung und Geld.“ Bei der Sterbehilfe bestehe im Grunde dagegen kein gesetzlicher Handlungsbedarf.

Neben den Papieren der Unionsfraktionsmehrheit um Brand, Gröhe und Kauder, der Koalitionsgruppe um Hintze und Reimann und der Grünen- und Linken-Gruppe liegen auch die Positionen von Grünen-Abgeordneten um Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe sowie von SPD-Abgeordneten um Eva Högl und Kerstin Griese vor.

Scharfenberg machte im Plenum deutlich, dass sie die Beihilfe zum Suizid straffrei belassen wollen. Allerdings solle sie strafbar werden, wenn sie geschäftsmäßig betrieben werde. Griese und Högl nennen ihre Position „Weg der Mitte“. Sie wollten „die Freiräume“ für Ärzte in der bisherigen Form erhalten, sagten sie. Gesetzlich regeln wollen sie ein Verbot für Sterbehilfevereine, um kommerzielle Sterbehilfe zu verhindern.

In einer repräsentativen N24-Emnid-Umfrage sprechen sich 74 Prozent der Deutschen generell für Erleichterungen bei der Sterbehilfe aus. 22 Prozent lehnen das ab.