Hieronymus-Bosch-Ausstellung Clausnitz und Hieronymus Bosch Visionen: Die Hölle ist, was wir geschehen lassen

Die Nachrichten-Bilder aus Clausnitz und Bautzen gleichen auf verstörende Weise den Visionen der Hölle, die 500 Jahre nach dem Tod des Malers Hieronymus Bosch in dessen Heimatstadt zu sehen sind.

Der Blick auf das Böse: „Die Kreuztragung Christi“ (l.) ...

Foto: Rik Klein Gotink a. image processing Robert G. Erdmann for the Bosch Research & Conserv. Project

’s-Hertogenbosch/Berlin. Das Geschehen an sich wäre schrecklich genug. Was uns den Anblick aber regelrecht unerträglich macht, sind die Gesichter der Beteiligten. Es ist die Physiognomie der Dummheit und der Boshaftigkeit, die uns entgegentritt. Wir blicken fassungslos in Gesichter von abstoßender Blödheit, denen die abscheuliche Freude an ihrem widerwärtigen Treiben aus den offenen Mündern quillt. Die Stirnen sind breit und leer, aus gemeinen Augen glänzt selbstbesoffene Begeisterung für die eigene Beschränktheit, der Maulgestank des Bösen liegt in der Luft.

.. und „Das Narrenschiff“ von Hieronymus Bosch. Die Nähe zu heute ist erschreckend.

Foto: Museum BoschRMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Adrien Didierjean

Bis hinein in die Bundestagsdebatte zur „Schande von Clausnitz“ unterscheiden sich die Reaktionen auf die Eskalation des Hasses und der Gewalt gegenüber Flüchtlingen kaum von den Publikumsreaktionen auf die Höllen-Bilder in der Hieronymus-Bosch-Ausstellung, die das Nordbrabantische Museum noch bis zum 8. Mai in Boschs Heimatstadt ‘s-Hertogenbosch zum 500. Todestag des mittelalterlichen Malers zeigt. Der Blick auf das Böse macht fassungslos und löst Empörung aus. Vor unseren Augen zerstören Menschen mit voller Absicht den Codex der Zivilisation.

Im Falle von Bosch (etwa 1450- 1516) ist die Hölle allgegegenwärtig. Sie wird in seinen Bildern von Menschen angerichtet, sie ist das Produkt ihrer gottlosen und gottvergessenen Handlungen, die alle geradewegs ins Verderben führen. Das Publikumsinteresse an Bosch speiste sich schon immer aus dem Gewimmel fantastischer Fabel- und Dämonenwesen auf seinen Bildern. Doch ihre Wirksamkeit verdanken sie der akribischen Darstellung des Bösen, das die Menschen in diesen Bildern anrichten — denn sie tun es absichtlich, hemmungslos und mit vollem Bewusstsein. Darin gleicht der Mob, der Jesus auf dem Bild „Die Kreuztragung Christi“ (um 1490 bis 1510) nach Golgatha treibt, dem Mob von Clausnitz.

Laut Hans-Ludwig Körber, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie an der Berliner Charité und vielleicht der bekannteste Gerichts-Psychiater Deutschlands, vermögen wir das Böse zweifelsfrei zu erkennen und sind in seinem Angesicht fassungslos, weil die Welt aus den Fugen ist — und sie ist es, weil jemand sie bewusst zerstört: „Das Böse ist umso augenfälliger, je eindeutiger es sich darauf richtet, das Schöne, das Heile, das Kind, die Zukunft zu zerstören. Es manifestiert sich als Hass auf alles, was geliebt werden kann, als unwiderrufliche Zerstörung der Liebesobjekte, der eigenen oder der von irgendjemandem“, so Körber 2009 in einem Aufsatz.

Der Magdeburger Psychologe und Politikwissenschaftler Thomas Kliche bot in einem Interview mit der „Mitteldeutschen Zeitung“ für die Eskalation der Flüchtlingsdebatte und die Gewaltexzesse die Erklärung eines „Globalisierungsschocks“ und einer Gesellschaft an, die es generell verlernt habe, große Themen vernünftig zu erörtern: „Die Forschung spricht schon von einer Spät- oder Untergangsphase der Demokratie, weil die Leute lieber dreimal im Jahr Urlaub machen oder Dschungelcamp schauen, als sich auch nur mit den einfachsten Grundlagen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu beschäftigen. Kollektive Bequemlichkeitsverblödung fällt aber jeder Gesellschaft irgendwann auf die Füße — es wird immer anstrengender, für vernünftige Lösungen Unterstützung zu erhalten.“

In Boschs Werk sind die „Bequemlichkeitsverblöder“ diejenigen, die das „Narrenschiff“ bestiegen haben: Obwohl der kleine Kahn mit einem gigantischen Maibaum offensichtlich überladen ist und unweigerlich untergehen muss, vergnügen sich seine Insassen, darunter auch ein Mönch und eine Nonne, mit Alkohol, sexuellen Anspielungen, Völlerei und Musik. Wie in allen Bildern Boschs, wird sie ihre unweigerliche Strafe für den sündigen Müßiggang in der Hölle erwarten.

Boschs Bilder — und darin unterscheiden sie sich kaum von der Bundestagsdebatte zur „Schande von Clausnitz“ — sind keine neutralen Schilderungen eines besorgten Malers, der den Umständen seiner Zeit entsprechend für alles menschliche Handeln die Abrechnung des Jüngsten Gerichts am Ende der Zeiten erwartete. Sie sind aus der Perspektive der politischen Obrigkeit gemalt, die ihn bezahlte. Hieronymus van Aken (den Namen Bosch wählte er zu Ehren seiner Heimatstadt, die er nie verlassen hat) stammte aus einer Maler-Familie. Er heiratete sich sozial nach oben und besaß ein Haus direkt am Tuchmarkt von Den Bosch, das heute noch steht. Bosch gehörte zum bestimmenden Zirkel einer frommen Bruderschaft.

Seine zumeist adeligen Auftraggeber bestellten Boschs Altar-Tafeln nicht zur Aufstellung in Kirchen, sondern zu ihrer privaten Andacht. Nach seinem Tod wurde der spanische König Philipp II. Boschs frömmster Fan und pflasterte die Wände des Escorial mit allen Bosch-Bildern, die er bekommen konnte, während er sein sonstiges Leben damit verbrachte, Boschs Höllen-Visionen mit blutigen Kriegen gegen den Protestantismus und den Folter-Feuern der spanischen Inquisition Wirklichkeit werden zu lassen.

Was unsere Welt von der Boschs unterscheidet, ist der Verlust der Gewissheit eines göttlichen Strafgerichts und der gleichzeitige Verdacht, dass die Hölle trotzdem existiert und immer schon da ist. Der österreichische Gerichtspsychiater Reinhard Haller gehört zu den Psychologen, die sich im Streit darüber, ob der Mensch als unschuldiges Wesen geboren und durch seine Umwelt geprägt wird, oder aber als „universell kriminelles Wesen“ auf die Welt kommt und erst durch Erziehung zu einem verträglichen Wesen sozialisiert wird, auf letztere Seite geschlagen haben: „Persönlich glaube ich, das Böse beginnt dann, wenn der Mensch sich nicht in andere hineinfühlt“, so Haller.

Manche der Täter, so sein Kollege Hans-Ludwig Körber, die irgendeinen zum Opfer erwählten, lernten im kollektiven Geschehen, „was in ihnen steckt an destruktiven Handlungsmöglichkeiten, an Gemeinheit, an Preisgabe jeder Fairness“. Es sei dann ja gerade der Clou, dass es nicht fair zugehe. „Mächtig ist, wer selbst die Regeln festlegt, und wer sie jederzeit massiv überschreiten darf. Mächtig sein, stark sein — mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten — erst mal nur für diesen Abend“, so Körber. Manch großes Unheil werde allein von einem kleinen Versager begangen, einem Stümper des Verbrechens, das gleichwohl als unfassbar böse imponiere: „Das Schreckenerregende seiner Tat liegt in der dickfelligen Egozentrik und emotionalen Unberührtheit des Täters, dem die aufgeregten Reaktionen der Öffentlichkeit übertrieben vorkommen.“ Während sächsische CDU-Politiker noch immer versuchen, die Schande von Clausnitz zu relativieren, twitterte der Vorsitzende der NRW-CDU, Armin Laschet, am 19. Februar unter dem Eindruck der Bilder: „Für manche Bewohner von #Clausnitz wären nach 1990 Integrationskurse nötig gewesen. Verpflichtend. Mit Sanktionen #integrationsverweiger“. In dem Drei-Personen-Stück „Geschlossene Gesellschaft“ von Jean-Paul Sartre, uraufgeführt 1944, sagt die männliche Hauptperson Garcin irgendwann: „Also dies ist die Hölle. Niemals hätte ich geglaubt (. . .) Ihr entsinnt euch: Schwefel, Scheiterhaufen, Bratrost (. . .) Ach, ein Witz! Kein Rost erforderlich! Die Hölle, das sind die anderen.“

Wir hier, die anderen dort? Wahrscheinlich ist es unbequemer: Die Hölle ist, was wir geschehen lassen.