Bundesverfassungsgericht Zu braun für dieses Land? Verhandlung über NPD-Verbot
Sechzig Jahre ist es her, dass in Deutschland zuletzt eine Partei verboten wurde. Nun kämpft die NPD in Karlsruhe um ihr Überleben. Das Verfahren steht unter dem Eindruck neuer Fremdenfeindlichkeit bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Was bedeutet das?
Karlsruhe (dpa) - Vor gut drei Jahren dürfte sich niemand vorgestellt haben, dass Anfang 2016 in Deutschland Flüchtlingsheime brennen. Dass eine neue rechtspopulistische Partei namens AfD die etablierten Politiker ernsthaft in Bedrängnis bringt. Dass in Dresden Woche für Woche Tausende „Wutbürger“ von Pegida auf die Straße gehen.
Damals, im Dezember 2012, beschließt der Bundesrat nach langem Hin und Her, einen neuen Anlauf zu wagen für ein Verbot der rechtsextremen NPD. Das Vorhaben passt ins politische Klima der Bundesrepublik. Ende 2011 ist der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) aufgeflogen, der Schock von zehn überwiegend fremdenfeindlich motivierten Morden mitten in Deutschland ist frisch. Auch Indizien für Verbindungen der Terrorzelle zur NPD tauchen auf. Also ergreifen die Länder die Initiative - die Demokratie soll sich wehrhaft zeigen.
Auf 250 Seiten haben sie im Verbotsantrag zusammengestellt, was die vor allem im Osten verankerte NPD mit ihren gut 5000 Mitgliedern in ihren Augen zum Verfassungsfeind macht. Die Hetze gegen Ausländer und Andersdenkende. Das Gerede von „Ausländerrückführung“, „Überfremdung“, „Orient-Krawallos“ und „artgemäßer Partnerwahl“. Die offensichtliche „Wesensverwandtschaft“ zum Nationalsozialismus.
Es hat gereicht, um das Bundesverfassungsgericht davon zu überzeugen, das Hauptverfahren einzuleiten. Drei Tage lang wird kommende Woche in Karlsruhe verhandelt, von Dienstag bis Donnerstag. (Az. 2 BvB 1/13)
Es ist schon jetzt ein historisches Ereignis. Zwei Parteien wurden in der Geschichte der Bundesrepublik verboten, das war in den 1950er Jahren. Am Gericht ist Unsicherheit spürbar. Die Richter stellen sich darauf ein, dass mit harten Bandagen gekämpft wird, ist zu hören. Dass es emotional zugeht. Schließlich geht es am obersten deutschen Gericht diesmal nicht nur um eine komplizierte Rechtsfrage, sondern ums politische Überleben einer Partei. Ob der Fall NPD wirklich schon nach drei Verhandlungstagen entscheidungsreif ist, weiß niemand. Bis zum Urteil dürften in jedem Fall Monate vergehen.
Die NPD hat bisher inhaltlich nicht zu den Vorwürfen Stellung bezogen, dafür aber schon in einigen Medien eine Strategie ausgebreitet, die ganz auf der V-Leute-Frage fußt. „Wir haben einiges in petto“, wird der Verfahrensbevollmächtigte Peter Richter etwa in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) zitiert.
Daran war 2003 schon einmal alles gescheitert. Mitten im Vorverfahren kam heraus, dass der Verfassungsschutz etliche Informanten - sogenannte V-Leute - bis in die Führungsspitze der Partei hinein hatte. Die Enthüllungen ließen das Verfahren platzen. Am Ende war der zuständige Senat zerstritten, die Politik blamiert. Auch deshalb haben manche kein gutes Gefühl bei einem zweiten Versuch. Bundestag und Bundesregierung sind diesmal nicht dabei.
Der Rechtsextremismus-Experte Fabian Virchow von der Hochschule Düsseldorf ist sich sicher, dass die V-Leute-Problematik auch diesmal für die NPD „einer der zentralen Hebel sein wird“. „Möglicherweise werden sie jemanden outen und als V-Mann vorführen“, vermutet er. In der Gliederung für die Verhandlung taucht die „Quellenfreiheit“ gleich im zweiten Punkt unter „Verfahrenshindernisse“ auf.
Auf Bitten des Gerichts haben die Länder vier Aktenordner mit Belegen für die „Abschaltung“ von insgesamt elf V-Leuten bis spätestens Dezember 2012 nachgereicht - interne Vermerke, Gesprächsprotokolle, E-Mails. Auf 140 weiteren Seiten wurde im vergangenen Sommer dargestellt, welche Rolle die NPD bei der aktuellen Hetze gegen Flüchtlinge spiele und „wie tief der braune Sumpf in Teilen Deutschlands bereits vorgedrungen“ sei, wie der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz (SPD), damals erklärte.
Was aber auch der NPD in die Hände spielen könnte: „Begriffe wie „Volksverräter“ und „Lügenpresse“ sind mittlerweile salonfähig geworden“, behauptet der Funktionär Jürgen Gansel in der „FAZ“. Man dürfe die NPD nicht für Aussagen bestrafen, die man anderswo dulde.
Als allerletzter Ausweg bliebe der NPD womöglich der Gang vor den Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg. Denn die Europäische Menschenrechtskonvention setzt einem Parteiverbot noch höhere Hürden als das deutsche Grundgesetz. Hier reicht nicht die aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der demokratischen Grundordnung, wie sie das Verfassungsgericht beim KPD-Verbot 1956 definiert hat. Ein Verbot ist nur dann gerechtfertigt, wenn dies zum Schutz der demokratischen Ordnung auch wirklich notwendig ist.
Virchow kann sich aber gut vorstellen, dass die Karlsruher Richter dies ohnehin im Hinterkopf haben und ihre Kriterien für ein Verbot womöglich von vorneherein um diese Komponente erweitern. Dafür spricht, dass es in der Verhandlung laut Gliederung auch um die „Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention“ gehen soll.