Coronavirus Merkel und der Wettlauf gegen die Zeit
Berlin · Die Kanzlerin wirbt beim Kampf gegen Corona um Vertrauen – sie wirkt besonnen und fordert Solidarität.
Es gab schon einige Sätze der Kanzlerin, die in die Geschichte eingegangen sind. Angela Merkels „Wir schaffen das“ im Jahr 2015, als die Flüchtlinge kamen. Oder ihr Versprechen an die Sparer während der Finanzkrise 2008, „dass ihre Einlagen sicher sind“. Diesmal sitzt Merkel mit ihrem Gesundheitsminister Jens Spahn auf dem Podium der Bundespressekonferenz. Wieder ist die Zeit gekommen für wichtige Worte und klare Botschaften. So gut es eben geht in der aktuellen Lage, die sich von Tag zu Tag verändert.
Kann sein, dass die Kanzlerin durch manche Schlagzeile, sie sei abgetaucht und führe in der Corona-Krise nicht, motiviert worden ist, sich der Presse zu stellen. Besser spät als nie. Wer Merkel kennt, weiß aber auch, dass sie fast immer im Thema ist. Dienstagabend eine Videokonferenz mit den europäischen Staatschefs, an diesem Donnerstag das Treffen mit den Ministerpräsidenten, am Freitag mit Arbeitgebern und Gewerkschaftern – und stets geht es um Corona und die Gegenmaßnahmen. Dazu in den letzten Wochen viele Gespräche mit Experten, Telefonate mit Spahn, interne Runden mit Beratern. Nur die forschen Auftritte sind nicht Merkels Sache.
Dass sie ihrem jungen, ambitionierten Gesundheitsminister bisher so klar das Feld überlassen hat, ist ein Vertrauensbeweis. Spahn, 39 Jahre alt, mache einen „tollen Job“, wiederholt sie vor den Journalisten das, was sie schon vor der Unionsfraktion gesagt hat. „Relativ kühn“ sei es anzunehmen, man könne nicht gut zusammenarbeiten, nur weil man in manchen politischen Fragen unterschiedliche Einschätzungen habe. „Da kann sich jeder drauf verlassen.“ Aus der Bewältigung der Krise könnte jedenfalls noch der Ritterschlag für Spahn folgen. Er will CDU-Vize werden und hat die Kanzlerkandidatur nicht abgeschrieben.
Vertrauen ist sowieso das, worum es beim Auftritt der Kanzlerin geht. In solchen Zeiten ist das die Währung Nummer eins. Die Corona-Pandemie mag sich am Anfang befinden, die Beunruhigung ist bei vielen Menschen aber groß. Allenthalben werden Veranstaltungen abgesagt oder verboten, ob mit mehr oder weniger als 1000 Teilnehmern; nur der CDU-Parteitag Ende April noch nicht, was die Ex-Vorsitzende auch mit einem Schmunzeln kommentiert.
Die Zahl der Infektionen steigt unaufhörlich, das öffentliche Leben erlahmt zusehends. 60 bis 70 Prozent der Bürger dürften irgendwann infiziert sein, erklärt die Kanzlerin. Das ist die Zahl, die Experten kommunizieren. Auf sie verlässt sich Merkel - RKI-Präsident Lothar Wieler sitzt mit auf dem Podium. Die Kanzlerin betont: Es gehe bei allen Maßnahmen darum, die Ausbreitung zu verlangsamen, um ältere Menschen oder Bürger mit Vorerkrankungen zu schützen. Für die könne eine Ansteckung lebensgefährlich werden. „Und da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander schon auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir diese Probe auch bestehen“, so Merkels eindringlichste Botschaft. Die Absage von Fußballspielen sei nicht das zentrale Problem, und sie hoffe auf die Solidarität der Fans. Bremse man den Erreger aus, könne eine Überlastung des Gesundheitssystems vermieden werden. „Es geht also um das Gewinnen von Zeit“, betont die Kanzlerin. Wissenschaftler hoffen, dass es nächstes Jahr einen Impfstoff geben wird.
Der allgemeinen Aufregung setzt Merkel wie so oft ihre persönliche Art entgegen: Sie bleibt unaufgeregt, was manchmal aber etwas gelangweilt wirkt; sie zeigt Verständnis, selbst für Hamsterkäufe. „Maß und Mitte“ empfiehlt sie den Verbrauchern.
Vor allem will sie mit ihrem Auftritt beruhigen: „Wir werden das Notwendige tun als Land.“ Vieles sei bereits auf den Weg gebracht, um die Wirtschaft zu stabilisieren und Liquiditätsengpässe von Unternehmen zu überbrücken. „Die Bundesregierung hat sehr schnell gehandelt.“ Auch der europäische Stabilitätspakt biete genug Spielräume für Mehrausgaben – Merkels Signal: Am Geld wird die Krisenbewältigung nicht scheitern.
Dann gibt es auch noch einen Rat der Kanzlerin. Statt eines Handschlags könne man sich doch auch mal „eine Sekunde länger in die Augen gucken und lächeln, und nicht schon mit der Hand beim Nächsten sein“. Das dürfte freilich auch für die Zeit nach Corona gelten.