Interview SPD-Gesundheitsexperte über Coronavirus: „Zweite starke Welle im Herbst“

Berlin · Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD, glaubt, dass das Coronavirus mindestens zwölf Monate lang ein Thema sein wird.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach betont, dass es wichtig ist, dass sich das deutsche Gesundheitssystem auf die zweite Welle vorbereiten kann. Etwa durch mehr Schutzmaterial.

Foto: dpa/Marijan Murat

Der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach ist Gesundheitsexperte der SPD. Im Interview mit dieser Zeitung berichtet der 57-jährige Kölner von seiner Einschätzung der Corona-Krise und der Gegenmaßnahmen.

Herr Lauterbach, Norditalien wird praktisch komplett dicht gemacht – ist das angemessen?

Karl Lauterbach: Für Italien auf jeden Fall. Damit wird der Versuch unternommen, die Ausbreitung der Seuche in anderen Teilen von Italien zu verhindern, mindestens zu verlangsamen. Angesichts der Zahl der Infizierten in Norditalien ist das zwar nicht zwingend, aber sinnvoll.

Wäre so etwas auch in Deutschland denkbar, etwa in Nordrhein-Westfalen?

Lauterbach: Zum jetzigen Zeitpunkt auf keinen Fall. Die Zahlen sind auch in NRW längst nicht so hoch. Außerdem wäre eine solche Abriegelung in Deutschland sehr schwer umsetzbar. Ich sehe eine solche Maßnahme auf absehbare Zeit nicht am Horizont.

Worum geht es eigentlich jetzt: Geht es noch darum, die Verbreitung von Corona aufzuhalten oder geht es nur noch darum, sie zu verlangsamen?

Lauterbach: Dass das Corona-Virus noch aufgehalten werden kann, ist sehr unwahrscheinlich, denn eine kritische Zahl von Infektionen ist auch in Deutschland längst erreicht. Die Strategie des Austretens ist vorbei. Jetzt muss es gelingen, mit möglichst wenig Fällen in den Sommer zu kommen. Dann gibt es erst einmal eine Entschleunigung, bevor wir dann im Herbst mit einer zweiten, starken Welle rechnen müssen. Wir werden mindestens zwölf Monate mit Corona zu tun haben.

Was ist das Ziel der Verlangsamung?

Lauterbach: Das Ziel ist, dass man so wenig Erkrankte und damit auch Todesfälle wie möglich hat, bis es bessere Methoden der Behandlung gibt. Und irgendwann auch ein Impf-Serum. Außerdem brauchen wir Zeit, um das Gesundheitssystem auf die zweite Welle vorzubereiten. Auch dafür ist es wichtig, die Rate der Neuinfektionen jetzt gering zu halten. Es müssen mehr Leute als jetzt gleichzeitig beatmet werden können. Es muss mehr Isolierstationen geben und auch mehr Schutzmaterial für das Klinikpersonal und die Hausärzte.

Es liegt ein schmaler Grat zwischen Panikmache und Vorsorge. Wie beurteilen Sie das bisherige Krisenmanagement der Bundesregierung und der Länder?

Lauterbach: Das ist jetzt nicht die Zeit, um Noten von der Außenlinie zu verteilen. Ich sage nur, dass aus meiner Sicht keine großen Fehler gemacht worden sind.

Gibt es schon jetzt Konsequenzen, die für das Gesundheitssystem als Ganzes erkennbar sind, für die Zeit nach Corona?

Lauterbach: Ja. Es zeigt sich wieder, dass wir nicht genug Pflegekräfte haben. Wir werden die Pflegeberufe deutlich attraktiver machen müssen. Bessere Bezahlung, bessere Arbeitszeiten. Warum steigen die Einkünfte der Ärzte stärker als die der Pfleger? Man sollte die Tarifabschlüsse künftig aneinander koppeln. Zweitens: Wir haben eine Überversorgung mit Kliniken vor allem in den Zentren und in vielen anderen Gegenden einen Mangel an Krankenhäusern. Und damit auch an Notfallbetten. Auch an dieses Thema müssen wir ran.