Den Grünen geht die Luft aus
Die Partei leidet unter ihrem Spitzenkandidaten Trittin. Er gerät wegen der Pädophilie-Affäre immer mehr unter Druck.
Berlin. Für die Grünen kommt es knüppeldick: Beim Urnengang in Bayern sind sie weit hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Und als wäre das nicht schon Gegenwind genug, gerät ihr Spitzenkandidat Jürgen Trittin wegen der schwelenden Pädophilie-Affäre aus den Frühzeiten der Partei persönlich unter Druck.
Im Rahmen der von den Grünen selbst in Auftrag gegebenen Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels wurde am Montag bekannt, dass Trittin im Jahr 1981 als damaliger Stadtratskandidat in Göttingen für ein Kommunalwahlprogramm der örtlichen Grünen presserechtlich verantwortlich zeichnete. Darin wird auch die Straffreiheit von gewaltfreien sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern verlangt.
Eine fast wortgleiche Forderung fand sich schon im Grundsatzprogramm der Bundespartei, das 1980 entstanden war. Erst neun Jahre später distanzierten sich die Grünen von dieser Position. Trittin wusste wohl um die politische Sprengkraft dieses Vorgangs. Deshalb nahm er am Montag gleich ungefragt dazu Stellung. Was damals geschehen sei, entspreche einem „falschen Politikverständnis“, dem er sich aber „nicht hinreichend entgegengestellt“ habe, räumte der 59-Jährige ein. Aus „falsch verstandener Liberalität“ — seinerzeit wurden Homosexuelle noch stark diskriminiert — seien die Grünen „übers Ziel hinausgeschossen“.
Nach Einschätzung des Berliner Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer könnte Trittins Verstrickung in die Irrungen der Partei die Wahlaussichten weiter schmälern. „Das ist ein Aufreger-Thema, zumal es die moralische Integrität der Grünen ankratzt“, sagte Niedermayer unserer Zeitung. Die Grünen hätten sich immer als die moralisch besseren Menschen gesehen. „Deshalb ist das für sie potenziell gefährlich.“
Von einer rot-grünen Zukunft war bei Co-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt und Trittin am Montag auch nichts zu hören. Dafür ging bei ihnen das Gespenst einer großen Koalition um. Wer den „Krampf“ von Schwarz-Rot nicht wolle, müsse Grüne wählen, so Trittin. „Eine große Koalition heißt Lähmung“, assistierte Göring-Eckardt. So deutlich war die Furcht vor der eigenen politischen Bedeutungslosigkeit in der grünen Parteizentrale bislang noch nicht formuliert worden.
Manche Grünen denken deshalb auch schon an das Wochenende nach der Bundestagswahl. Für den 28. September ist ein kleiner Parteitag in Berlin angesetzt, auf dem sich alle Enttäuschung und Kritik an Trittin entladen könnte. Schließlich war der Wahlkampf ganz auf ihn zugeschnitten. Trittin war es auch, der das leidige Steuerthema in den Vordergrund gerückt hatte, anstatt beim Thema Energiewende mit grüner Kernkompetenz zu punkten. Laut Göring-Eckardt soll das nun gewissermaßen auf der Zielgerade nachgeholt werden. Nach Ansicht Niedermayers kommt das jedoch zu spät. „Die letzten Tage vor der Wahl werden stark von den großen Parteien geprägt sein“, prophezeite der Politik-Experte.