Der Druck auf Christian Wulff lässt nicht nach
Berlin (dpa) - Der Druck auf Christian Wulff hält unvermindert an, doch der Bundespräsident denkt offenbar nicht an Rücktritt. Bei einem internen Neujahrsempfang für Mitarbeiter am Freitag habe er sich zuversichtlich gezeigt, „dass dieses Stahlgewitter bald vorbei ist“.
Das schrieb „Bild am Sonntag“ ohne Angabe von Quellen. Mehrere Medien berichteten am Wochenende über weitere Details in der Kredit- und Medienaffäre. Während in der Koalition kritische Stimmen zunehmen, bot SPD-Chef Sigmar Gabriel Kanzlerin Angela Merkel im Fall eines Wulff-Rücktritts Zusammenarbeit bei der Nachfolgersuche an. Das Präsidialamt selbst schwieg zu alledem und war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Der Präsident wolle bis 2015 einen guten Job machen und dem Amt nach eigenen Worten einen weiteren Rücktritt nach Horst Köhlers Abgang 2010 ersparen, zitiert „Bild am Sonntag“ weiter aus Wulffs Neujahrtreffen mit Mitarbeitern. Hinter den Kulissen allerdings sollen sich die Parteispitzen von Union und SPD unbestätigten Medienberichten zufolge bereits auf einen Rücktritt vorbereiten - was führende Koalitionspolitiker vehement dementieren.
Sollte sich herausstellen, dass das Staatsoberhaupt nicht in allen Punkten die volle Wahrheit gesagt habe, wollten Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und FDP-Chef Philipp Rösler Wulff nicht mehr stützen, schrieb die „Rheinische Post“ unter Berufung auf Regierungskreise. Nach Angaben des Blattes und der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAS“) soll dann ein Kandidat vorgeschlagen werden, den auch die Opposition mitträgt.
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte der „FAS“, natürlich stehe die Kanzlerin mit Vizekanzler Rösler in permanentem Kontakt: „Sie sieht aber keine Veranlassung, über eine Nachfolge für den Bundespräsidenten zu sprechen.“ Seehofer erklärte: „An diesem Bericht ist nicht das Geringste dran, er ist schlicht die Unwahrheit.“ Und Vize-FDP-Sprecherin Kathrin Klawitter befand: „Die Berichte und Gerüchte sind frei erfunden.“
SPD-Chef Gabriel bot Merkel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gleichwohl im Fall eines Wulff-Rücktritts an, gemeinsam eine geeignete Persönlichkeit für die Nachfolge zu benennen. „Die SPD wollte und will keinen parteipolitischen Streit um das Amt des Bundespräsidenten.“ Die SPD würde daher „auch keine weiteren Forderungen wie etwa die nach Neuwahlen erheben“. Damit wies Gabriel seine Generalsekretärin Andrea Nahles in die Schranken, die zuvor bei einem Verzicht Wulffs auf das Amt Neuwahlen gefordert hatte. In der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ sagte Gabriel, die SPD wolle gar keinen eigenen Kandidaten benennen, die CDU könne auch jemanden aus ihren Reihen vorschlagen. „Wir wollen bloß, dass dieses unwürdige Theater endlich ein Ende hat.“
Auch Grünen-Chefin Claudia Roth forderte in der „Welt am Sonntag“ die Kanzlerin auf, bei einem Rückzug Wulffs eine Verständigung mit der Opposition zu suchen. In der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ sagte sie: „Von grüner Seite aus gibt es natürlich das Angebot, zusammen mit der Union, zusammen mit der Regierung eine geeignete Person zu finden.“ In derselben Sendung konterte Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU): „Der Bundespräsident wird im Amt bleiben. Und deswegen sind alle Diskussionen darüber, wer einen neuen Kandidaten bringen könnte, Unsinn.“ CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte der „Süddeutschen Zeitung“ (Montag): „Es gibt keinen Grund, über die Neuwahl des Bundespräsidenten nachzudenken.“
Zugleich kamen weitere Details zur Affäre ans Licht. So hat Wulff laut „Spiegel“ vor der ersten Berichterstattung der „Bild“-Zeitung über seinen Privatkredit zur Finanzierung eines Eigenheims nicht nur dem Chefredakteur Kai Diekmann gedroht, sondern auch - in einem bereits bekannten Anruf - dem Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner. Der Verlag bestätigte die Darstellung des Magazins.
In den jüngsten Veröffentlichungen ging es auch erneut um die Frage, ob Wulff mit seiner Intervention den „Bild“-Artikel nur hinauszögern oder ganz verhindern wollte. Laut „Spiegel“ und „Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung“ hat er gegenüber dem „Bild“-Chefredakteur zwar gebeten, die Veröffentlichung um einen Tag zu verschieben, aber auch mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht. Zugleich wertete der „Spiegel“, dem nach eigenen Angaben eine Abschrift von Wulffs Nachricht auf Diekmanns Mobilbox vorliegt, die Wortwahl aber als „weniger ausfällig und dramatisch, als es in den bislang veröffentlichten Wortfetzen den Anschein gehabt hatte“.
Im schwarz-gelben Regierungslager wächst derweil die Kritik an Wulff. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Holger Zastrow, der 2010 für Wulffs Gegenkandidaten Joachim Gauck gestimmt hatte, forderte in der „FAS“ vom Staatsoberhaupt mehr Aufklärung: „Die Vorwürfe müssen ausgeräumt werden, und das ist noch nicht gänzlich geschehen.“ Es sei irritierend, wie Wulff sich scheibchenweise der Wahrheit nähere, „wie er sich entschuldigt und noch mal entschuldigt“.
Führende Unionspolitiker signalisierten Wulff aber weiter Unterstützung. So sagte CDU-Generalsekretär Gröhe dem „Spiegel“, Wulff verdiene trotz „Ungeschicklichkeiten und Fehler“ eine Chance, Vertrauen wieder aufzubauen. CSU-Chef Horst Seehofer erklärte: „Wir stellen uns hinter Menschen in Schwierigkeiten, es sei denn, die Schwierigkeiten sind so groß, dass man das nicht mehr verantworten kann. Das ist bei Christian Wulff nicht der Fall.“
SPD-Generalsekretärin Nahles sagte der „Bild am Sonntag“, wenn nach Horst Köhler nochmals ein Bundespräsident zurücktrete, müsste es Neuwahlen geben. „Bei einem Wulff-Rücktritt muss sich Angela Merkel dem Votum der Wähler stellen.“ CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt konterte: „Frau Nahles muss ihr peinliches und selbstentlarvendes Geschwätz einstellen.“
Am Samstagnachmittag protestierten etwa 400 Demonstranten am Amtssitz des Bundespräsidenten gegen Wulff. Sie hielten nahe dem Schloss Bellevue Schuhe hoch - in der arabischen Kultur eine Geste des Ärgers, der Verhöhnung und Verachtung.