Bundesregierung bestätigt Deutsches Todesopfer half jahrzehntelang in Afghanistan

Kabul/Berlin (dpa) - Bei einem 17-stündigen Taliban-Angriff auf ein großes Luxushotel in der afghanischen Hauptstadt Kabul ist auch eine deutsche Frau umgekommen. Es handele sich um eine ältere Dame aus Baden-Württemberg, die über Jahrzehnte immer wieder arme Menschen in Afghanistan unterstützt hat.

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Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur von Freunden und Kollegen der Frau. Die Frau habe eine kleine Hilfsorganisation namens Cabilla betrieben, sagte Georg Taubmann, der Chef der internationalen Entwicklungshilfeorganisation Shelter Now, die in Deutschland ihren Hauptsitz hat. Die Frau, die Taubmann auf Mitte 60 schätzt, habe ab und zu mit Shelter Now zusammengearbeitet. „Sie war eine sehr mutige, starke Frau“, sagte Taubmann.

Die Helferin war vor etwa einer Woche in Kabul angekommen. Am Sonntag hätte sie zusammen mit Shelter Now deren Taubstummenprojekt besuchen sollen. Dass sie im großen Intercontinental-Hotel wohnte, das in der Nacht zum Sonntag von Talibankämpfern angegriffen wurde, sei ungewöhnlich gewesen, sagte Taubmann. „Sie hat sonst immer in bescheidenen Gästehäusern oder bei Freunden gewohnt.“

Die Helferin sei eigentlich Krankenschwester gewesen, sagte Taubmann, der sie schon seit 30 Jahren kennt. „Immer, wenn sie genug Geld verdient hat, ist sie wieder nach Afghanistan zurückgegangen, um den Ärmsten der Armen zu helfen.“ Mit Shelter Now habe sie zuletzt eine von einer Lawine zerstörte Schule wiederaufgebaut.

Der Blog der Frau gibt einen Einblick in ihre Hilfsprojekte. In einem der letzten Einträge schrieb sie: „Wir konnten 2200 arme Kinder in verschiedenen Gebirgsdörfern mit Schulmaterial und Winterkleidung versorgen. ... Sie kamen uns mit Eseln entgegen, weil es weit oben keine Straßen mehr gibt ... Familie Hamid bekam auch 100 Meter Stoff, damit sie Kleidung nähen und verkaufen kann. Letztes Jahr bekam die Familie von uns vier Hühner, die bald wieder Eier legen werden.“

Zum ersten Mal habe die Frau Afghanistan während der sowjetischen Besatzungszeit besucht, sagte Taubmann. Sie habe afghanische Widerstandskämpfer medizinisch versorgt. Manchmal habe sie sie auf dem Rücken von der Frontlinie weggetragen. Bis zuletzt sei sie durch Afghanistan gereist, sei zum Beispiel nach einem Hilfseinsatz in der nordafghanischen Provinz Badachschan mit dem Taxi nach Kabul gereist.

Die meisten Entwicklungshelfer in Afghanistan - auch deutsche - dürfen heute wegen der drastisch verschlechterten Sicherheitslage kaum noch reisen und leben und arbeiten in schwer gesicherten Lagern.

Ein afghanischer Helfer fand die Leiche der Frau Stunden nach dem Angriff schließlich in einem Kabuler Krankenhaus und identifizierte sie auch für Mitarbeiter der deutschen Botschaft. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte, die Angehörigen würden informiert. Es gebe keine Hinweise auf andere deutsche Verletzte. Was die Frau während des Talibanüberfalls erlebt und wie sie ums Leben kam, blieb unklar.

Die sechs Attentäter waren am Samstagabend kurz nach 21.00 Uhr Ortszeit in das Hotel eingedrungen. Erst nach 17 Stunden konnten Spezialkräfte die letzten beiden Männer töten. Auf Fotos ist zu sehen, dass weite Teile des Hotels völlig verwüstet sind. Auf mehreren Etagen hatte es gebrannt, andere Gebäudeteile lagen nach den heftigen Gefechten in Schutt.

Die afghanischen Behörden bezifferten die Zahl der Todesopfer zuletzt auf 20. Augenzeugen hatten am Sonntag die Angaben der afghanischen Regierung als schwer untertrieben kritisiert. Manche Quellen sprachen von bis zu 43 Toten.

Die Zahl der bisher als Ausländer identifizierten Opfer liege weiterhin bei 14, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Nasrat Rahimi. Es könne aber noch dauern, bis alle identifiziert seien. Er korrigierte eine Angabe vom Vortag, wonach ein Kirgise ums Leben gekommen sei. Der Mann sei Kasache. Bei dem Anschlag sollen auch zwei Venezolaner getötet worden sein. Das berichtete die Zeitung „El Universal“ unter Berufung auf einen Cousin eines der Männer.

Es blieben aber weiter Lücken und Diskrepanzen. Nach afghanischen Angaben sollen zum Beispiel neun Ukrainer umgekommen sein. Die ukrainische Regierung bestätigte am Montag nur sieben, wie die Agentur Interfax berichtete.

Ein für tot erklärter griechischer Pilot überlebte hingegen. Er rief am Montag den griechischen TV-Sender Skai an und beschrieb, wie er sich in seinem Zimmer versteckt hatte. „Ich lebe nur noch wegen eines Wunders“, sagte Vasilis Vasileiou. „Ich hatte die Matratze mit einem Messer aufgeschnitten und mich darin versteckt.“ Die Terroristen hätten auf dem ganzen Stockwerk Türen eingeschlagen und geschossen. Schließlich seien sie zu seinem Zimmer gekommen, hätten ihn aber nicht entdeckt. Ein zweiter griechischer Pilot habe auch überlebt.

Wie Vasileiou hatte ein Großteil der ausländischen Opfer für die afghanische Fluglinie Kam Air gearbeitet, die das Hotel als Basis für internationale Angestellte genutzt hatte.

Eine offene Frage ist bisher, wie die Attentäter es schafften, in das auf einem Hügel gelegene und mit mindestens drei Sicherheitsposten geschützte Hotel hineinzukommen. Die Regierung, die das Hotel besitzt, hatte erst vor kurzem eine private Firma mit der Sicherung der Anlage beauftragt.

Ein Vertreter von Anteilseignern am Hotel, der frühere Leiter der Paschtani-Bank, Ahmed Chesrau, sagte, das Finanzministerium habe als größter Anteilseigner entschieden, die Sicherheitsfirma statt der Polizei zu beauftragen, weil „die Ausländer den afghanischen Sicherheitskräften nicht trauen“. Wenn das Hotel mehr ausländische Gäste wolle, müsse man eine private Firma beauftragen.

Die USA nahmen den Angriff zum Anlass für eine neue Warnung an die Adresse Pakistans. Eine Sprecherin von US-Präsident Donald Trump sagte am Montag in Washington: „Wir fordern Pakistan dazu auf, die Talibanführer sofort festzunehmen oder zu vertreiben und die Gruppe daran zu hindern, pakistanisches Territorium zur Unterstützung ihrer Operationen zu nutzen“.

Die US-Regierung wirft Islamabad seit längerem vor, die radikalislamischen Taliban und das mit ihnen verbündete Hakkani-Netzwerk zu unterstützen und ihnen einen Rückzugsort zu geben.