Extremismusforscher rät zu Abgrenzung „Die AfD will immer das Opfer sein“
Berlin. Der Berliner Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Hajo Funke rät den anderen Parteien im Bundestag, sich klar von der AfD abzugrenzen. Mit Funke sprach unserer Korrespondent Stefan Vetter:
Herr Funke, als die Grünen 1983 erstmals in den Bundestag kamen, war die Aufregung riesengroß. Ist der Einzug der AfD mit der Situation von damals vergleichbar, auch wenn die politischen Vorzeichen jetzt sicher völlig anders sind?
Haji Funke: Der Einzug der Grünen mit Blumen gegen ein angestaubt wirkendes System war zweifellos eine Zäsur. Und auch wirklich etwas Neues. Die jetzige Zäsur ist eine ganz andere: Erstmals seit Ende der 1950er Jahre sitzt im Bundestag wieder eine klar rechtradikale, zum Teil völkische Partei. Schon der Verlauf der konstituierenden Sitzung ließ ahnen, welche Konflikte das mit sich bringt - Provokationen am Stück bis hin zu irren Nazi-Vergleichen.
Man werde Frau Merkel jagen, hat AfD-Fraktionschef Gauland angekündigt. Was lässt das konkret erwarten?
Funke: Er hat ja noch gesagt, man wolle sich Land und Volk zurückholen. So, als sei es entwendet, entsorgt oder deportiert worden. Das ist die Sprache des Rechtsradikalismus. Dabei wird die AfD einerseits so tun, als sei sie breit akzeptiert. Gar von einer ‚neuen Epoche‘ war bei ihr ja die Rede. Solche selbstvergrößernden Worthülsen darf man aber nicht so ernst nehme. Andererseits stilisiert sich die AfD jedoch auch stets als Opfer, was mit zum Teil völlig absurden historischen Exkursen einhergeht.
Haben es die anderen Parteien der AfD nicht auch leicht gemacht, sich als Opfer zu inszenieren, als sie deren Kandidaten bei der Wahl zum Bundestags-Vize durchfallen ließen?
Funke: Nein. Die große Mehrheit des Parlaments hat hier klar gemacht, was verfassungsrechtlich geht und was nicht. Wenn jemand das zweithöchste Staatsamt bekleiden will wie der AfD-Kandidat Glaser, dieser aber in einem zentralen Punkt, nämlich bei der Religionsfreiheit nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, dann ist ein Stoppzeichen notwendig. Nichts anderes hat der Bundestag getan. Es steht übrigens auch nirgendwo geschrieben, dass die Mitglieder einer Fraktion den Kandidaten einer anderen Fraktion zu wählen haben. Sie wollten Glaser nicht als zweithöchsten Repräsentanten des Staates. Und das ist gut begründet.
In der Vergangenheit wurde viel darüber geklagt, dass die politische Meinungsbildung eher in Talkshows stattfindet als im Bundestag mit seiner schwachen Opposition. Das dürfte sich nun ändern, oder?
Funke: Ja, das ist auch notwendig.
Also hat der Einzug der AfD in den Bundestag auch sein Gutes?
Funke: Nein, das finde ich provokant. Die Meinungen aus der AfD sind zum Teil volksverhetzend. Im Kern geht es darum, bestimmte gesellschaftliche Probleme endlich ernst zu nehmen. Nehmen Sie das Thema Alterssicherung, oder die Debatte über Europa. Davor hat sich Merkel gedrückt. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Es braucht eine sozial sensible Politik auch für jene, die sich abgehängt sehen.
In den Landtagen ist die AfD zumeist durch Machtkämpfe und Geschäftsordnungsdebatten aufgefallen. Wird sich das im Bundestag fortsetzen?
Funke: Das lässt sich noch nicht klar sagen. An der Spitze ist die AfD in der Hand der Gaulands und Höckes. So hat sie sich radikalisiert. Bislang ist sie nur zu eskalierender Rhetorik fähig.
Wie sollten die anderen mit den AfD-Neulingen generell umgehen? Ignorieren, isolieren, oder auch mal kooperieren?
Funke: Genauso, wie es in der ersten Sitzung des neuen Bundestags schon angelegt war: Die anderen Parteien müssen sich abgrenzen, aber sich in souveräner Weise auch mit den Argumenten der AfD auseinandersetzen. Ein Fehler war da sicher, die Regularien für den Alterspräsidenten mal eben noch schnell zu ändern. Wenn man kooperiert, würde man die ganze Republik nach rechts rücken. Dabei haben fast 88 Prozent die AfD nicht gewählt. Auch das muss man sich immer wieder klar machen.