Bundestag Erste Sitzung des Bundestags: Feuer unterm Reichstags-Dach
Der Bundestag kommt zu seiner ersten Sitzung zusammen. Am Ende hat das neue Parlament seinen ersten echten Konflikt.
Berlin. Der erste AfDler im neuen Deutschen Bundestag ist Martin Renner, Landeschef aus Nordrhein-Westfalen, der sich schon eine halbe Stunde vor Sitzungsbeginn auf seinen Platz setzt und mit seinem Laptop herumsurft. Dann trudeln nach und nach die anderen 91 Neulinge in den Plenarsaal. Einige schauen und staunen. Da der große Bundesadler, „fette Henne“ genannt, dort der Stuhl der Kanzlerin mit der erhöhten Rückenlehne. Manch einer kann immer noch nicht glauben, unter der Reichstagskuppel angekommen zu sein.
Zahlreiche AfD-Abgeordnete machen Selfies, und das beliebteste Hintergrundmotiv ist ausgerechnet die Videotafel neben der Regierungsbank. Auf der steht: „1. Sitzung des Deutschen Bundestages. 24. Oktober 2017.“ Erst, als alle da sind, kommen die beiden Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland. Gauland wie immer in grünlicher Tweet-Jacke und mit Jagdhund-Krawatte. Die Kameras auf den Presstribünen klicken. Eine gewollte Dramaturgie.
Da ist es kurz vor elf Uhr. Rechts von der Regierungsbank haben die AfD-Abgeordneten ihre Plätze. Die meisten Parlamentarier von Union und FDP müssen also an den Neuen vorbei. Alle schlängeln sich wort- und grußlos durch das AfD-Spalier. FDP-Chef Christian Lindner ist der erste, der Gauland die Hand gibt, aber nur, weil der AfDler ihn beim Vorbeigehen mit dieser Geste überrascht. Einzig Noch-Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geht ganz freundlich auf Gauland zu. Ansonsten herrscht kontrollierte Distanz. Völlig anders ist das bei den anderen Fraktionen. Da wird parteiübergreifend geherzt, besonders beliebt ist FDP-Mann Wolfgang Kubicki. Er kann sich vor Umarmungen kaum retten. Die Liberalen sind halt wieder da. Ihm und Lindner sieht man an, wie sehr sie diesen Triumpf genießen. Und dann eröffnet mit Hermann Otto Solms auch noch ein FDP-Urgestein die konstituierende Sitzung des Bundestages. Solms sorgt allerdings für Verwunderung, als er zunächst den Wiedereinzug seiner Partei ins Parlament lobt, bevor er dann die Abgeordneten an ihre Rechte und Pflichten erinnert. Neutral geht anders.
Auch die Kanzlerin muss an den AfD-Parlamentariern vorbei. An jenen, die im Wahlkampf lautstark „Merkel muss weg“ gerufen haben. Als sie den Plenarsaal betritt, setzt sie ein souveränes Lächeln auf. Ehrfürchtig wird ihr Platz gemacht. Merkel trägt einen grauen Blazer und eine schwarze Hose, farblich will sie diesmal keinen (politischen) Akzent setzen. Aus der ersten Reihe der Unionsfraktion erlebt sie dann, was in den nächsten Monaten wohl parlamentarischer Alltag werden wird - es geht gleich mächtig zur Sache im Hohen Haus.
Den ersten Antrag stellt prompt die AfD, sie will den Alterspräsidenten Solms durch einen anderen Versammlungsleiter ersetzen. Einstimmig stimmt der Rest des Hauses dagegen. Aus den Reihen der „Alternative“ ist höhnisches Gelächter zu hören. Anschließend kommt es zu einer hitzigen Debatte über mehrere Änderungsanträge zur Geschäftsordnung. Vor allem geht es um die Forderung der SPD, künftig viermal im Jahr die Kanzlerin direkt im Plenum befragen zu können. SPD-Redner Carsten Schneider nutzt die Gelegenheit, sich vom bisherigen Koalitionspartner Union abzusetzen. Er wirft Merkel vor, mit ihrem Politikstil den Einzug der AfD in den Bundestag erst möglich gemacht zu haben. Damit löst er die erste große Empörung in der Unionsfraktion aus. Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Hasselmann hält dagegen, die SPD wolle die künftigen Jamaika-Partner nur „vorführen“. Es ist Feuer unter dem Dach.
Bei den Abstimmungen über die Anträge zeigt sich dann immer wieder, wo die neuen Mehrheiten liegen. Die Jamaika-Koalition funktioniert bereits, Union, FDP und Grüne verschieben alle Forderungen zur weiteren Beratung in die Ausschüsse. Und meistens stimmen SPD und Linke sowie auch die AfD dagegen. Regierung gegen Opposition. Einmal jedoch vertendeln sich die Genossen. Da votieren sie allein mit Gauland und Co, die beantragen, dass künftig wieder der an Lebensjahren älteste und nicht der dienstälteste die erste Sitzung des Parlaments eröffnet. Das wäre jetzt ein AfD-Mann gewesen. „Das war eine Panne“, räumt ein SPD-Abgeordneter zähneknirschend ein.
Die Wahl des neuen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) verläuft indes glatt, auch wenn er mehr Gegenstimmen erhält als erwartet. Dass der von allen erfahrenste Abgeordnete anfänglich nicht weiß, dass er als Präsident selbst das Mikrofon anschalten muss, sorgt für Gelächter unter den 709 Parlamentariern. Schäuble versucht dann auch, die Aufgeregtheiten einzudämmen. Veränderung habe es in Deutschland immer gegeben, erklärt der 75-Jährige. Streit müsse sein, aber nach bestimmten Regeln. „Prügeln sollten wir uns hier nicht.“
Bei der Wahl zu Schäubles sechs Stellvertretern kommt es dann zum erwarteten Eklat. Der AfD-Kandidat Albrecht Glaser fällt gleich dreimal durch. In der letzten Reihe seiner Fraktion sitzend verfolgt er mit versteinertem Blick die Verkündung der Ergebnisse. Die AfD muss nun entscheiden, ob sie an ihm festhält. Obwohl die anderen Fraktionen Glaser nicht akzeptieren. Der neue Bundestag hat seinen ersten großen Konflikt. Oder wie Schäuble wegen seiner Mikro-Panne zuvor angemerkt hat: „Aller Anfang ist schwer.“