Nachfolgekarussell Die Gauck-Nachfolger stehen nicht gerade Schlange
Die Parteien tun sich mit der Suche nach dem neuen Bundespräsidenten schwer. Eine erste Absage gibt es schon.
Berlin. Am Donnerstagnachmittag wurde beim Koalitionsgipfel nicht über die Frage des neuen Bundespräsidenten gesprochen - die Runde war zu groß. Angeblich wollen die drei Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD das Problem bis Ende des Monats diskret unter sich klären. Die Bewerber stehen nicht gerade Schlange. Am 12. Februar 2017 findet die Wahl statt. Wenigstens die Ausgangslage ist jetzt klar: Nur ein Kandidat der großen Koalition oder ein schwarz-grüner Bewerber hätte sicher eine Mehrheit.
Die Bundesversammlung, die den Nachfolger Joachim Gaucks wählt, besteht aus 1260 Wahlfrauen und -männern, zur Hälfte aus Mitgliedern des Bundestages, zur anderen Hälfte aus Entsandten der Landtage. Die absolute Mehrheit liegt bei 631. Sie ist in den ersten beiden Wahlgängen erforderlich. Die Stärken der Parteien liegen bis auf kleine Unsicherheiten seit den letzten Landtagswahlen fest.
Demnach könnte ein Bündnis aus CDU/CSU (etwa 542 Teilnehmer) und SPD (387) einen gemeinsamen Bewerber locker durchsetzen. Sonst nur noch die Union zusammen mit den Grünen (145). Eine rot-gelb-grüne Ampelkoalition käme wegen der schwachen FDP (33) nicht auf die erforderliche Mehrheit. Und auch einem gemeinsamen Kandidaten von Linken (94 Vertreter), SPD und Grünen würden noch fünf Stimmen fehlen. Allerdings gilt im dritten Wahlgang, falls er nötig wird, die einfache Mehrheit. Hier kann viel passieren, zumal dann auch die 27 Stimmen der AfD oder die 31 von Piraten, NPD und anderen wichtig werden. Folgende Konstellationen und Bewerber sind denkbar:
Ein Kandidat der großen Koalition aus der Politik
Das könnte noch am ehesten der 67jährige CDU-Politiker Norbert Lammert sein. Gegen den Bundestagspräsidenten haben selbst eingefleischte Sozialdemokraten wenig einzuwenden; seine jüngste Rede bei der Einheitsfeier in Dresden wurde allenthalben gelobt. Problem: Lammert will angeblich nicht. Als er im Sommer vom Deutschen Brauerbund zum "Bierbotschafter" ernannt wurde, sagte er: "Das ist nicht das erste, aber das letzte bedeutende Amt, das ich in meiner politischen Laufbahn freiwillig annehme."
Die Frage ist, ob das bierernst gemeint war. Alternativ käme Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU, 74) in Frage, der aber von der SPD viel stärker als parteipolitischer Konkurrent wahrgenommen wird. Zuletzt machte er sich in den Reihen der Genossen unbeliebt, als er den Rücktritt von Justizminister Heiko Maas forderte. Außerdem ist er kaum jünger als Gauck (76), der auch aus Altersgründen aufhört.
Frank-Walter Steinmeier (SPD, 60) ist der beliebteste Politiker in Deutschland und von daher der natürliche Kandidat. Auch in der Union hat man wenig gegen ihn vorzubringen. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley und andere Sozialdemokraten werben bereits öffentlich für ihn und durchbrechen so das in der Koalition verabredete Schweigen. Steinmeier dürfte das gar nicht recht sein. Er würde nur antreten, wenn eine Mehrheit sicher wäre.
Aber für die Unionsparteien als mit Abstand stärkste Kraft in der Bundesversammlung wäre die Wahl eines ausgewiesenen Sozialdemokraten kein guter Start ins Bundestagswahljahr. Angela Merkel steht unter Druck, so etwas zu vermeiden. Steinmeier könnte sich theoretisch auch von SPD, Grünen und Linken im dritten Wahlgang ins Schloss Bellevue tragen lassen, wird aber wegen seiner Beteiligung an den Reformen der Agenda 2010 von den Linken als gemeinsamer Kandidat abgelehnt.
Ein Kandidat der großen Koalition von außen
Das könnte den gordischen Knoten lösen. Genannt werden in diesem Zusammenhang vor allem Namen aus dem Kirchenbereich. Allen voran der frühere EKD-Ratspräsident Wolfgang Huber (74), aber auch sein Nachfolger, Heinrich Bedford-Strohm (56). Beide gelten freilich als SPD-nah, beide vertreten vor allem in der Flüchtlingspolitik liberale Positionen, mit denen die CSU schwer leben kann.
Huber ist anders als Bedford-Strohm nicht mehr als Bischof aktiv, ein Vorteil. Aber auch er ist kaum jünger als Gauck. Thomas Sternberg (CDU, 64) fällt als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zwar in eine ähnliche Kategorie, ist aber überregional als NRW-Landtagsabgeordneter kaum bekannt. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle (52), wäre auch denkbar gewesen. Er wurde von SPD-Chef Sigmar Gabriel schon gefragt - und sagte ab, zum zweiten Mal nach 2012.
Neuerdings fällt auch der Blick auf Frank-Jürgen Weise, der als Chef der Bundesagentur für Arbeit aufhört. Er wird an diesem Sonnabend 65 Jahre alt, CDU-Mitglied und weit über alle Parteigrenzen anerkannt. Aber er ist mehr Manager als Politiker. Oft genannt wird noch die renommierte Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger (60). Für sie spricht, dass dann erstmals eine Frau das höchste Staatsamt bekleiden würde. Gegen sie ihr SPD-Parteibuch. Petra Roth, langjährige Frankfurter Oberbürgermeisterin und Präsidentin des Städtetages, ist zwar in der CDU, aber mit 72 ebenfalls nicht mehr die Jüngste.
Ein Kandidat einer anderen Koalition
Im Falle einer schwarz-grünen Zusammenarbeit könnte die Wahl außer auf Lammert auch auf die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt (50) fallen, Vizepräsidentin des Bundestages und EKD-Synodale. Oft genannt wird auch der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (68), der freilich in Stuttgart unabkömmlich ist. Für ein rein linkes Bündnis, das aber in den ersten beiden Wahlgängen in der Minderheit wäre, wird immer wieder der Name des Schriftstellers Navid Kermani (48) genannt. Er ist Muslim und iranischer Abstammung, seine Wahl wäre ein bemerkenswertes, aber auch konfrontatives Signal, das viele scheuen. Unklar ist, ob er überhaupt wollen würde.