Die große Koalition steht

Berlin (dpa) - Deutschland wird künftig von einer großen Koalition regiert. Knapp drei Monate nach der Bundestagswahl stimmten nach den Spitzengremien von CDU und CSU auch die SPD-Mitglieder mit der deutlichen Mehrheit von 75,96 Prozent dem Koalitionsvertrag zu.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach bei der Verkündung des Ergebnisses in Berlin von einem „Fest der innerparteilichen Demokratie“. Die neue Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am Dienstag vereidigt.

Die Besetzung der Ministerposten wollen die Parteien erst an diesem Sonntag bekanntgeben. Dabei dürfte es zu einer faustdicken Überraschung kommen. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) soll nach übereinstimmenden Medienberichten erste Verteidigungsministerin der Bundesrepublik werden.

Die Union erhält insgesamt fünf Ministerien und stellt den Kanzleramtschef. Die CSU bekommt drei Ressorts, die SPD sechs. Beim Zuschnitt der Ministerien gibt es drei Veränderungen: Das Wirtschaftsministerium erhält die Zuständigkeit für die Energiewende, das Verkehrsministerium soll sich künftig auch um das Internet kümmern und der Verbraucherschutz wandert vom Agrar- in das Justizministerium.

Mit 369 680 Frauen und Männern hatten sich 77,86 Prozent der 474 820 stimmberechtigten Sozialdemokraten an der bisher einmaligen Mitgliederbefragung beteiligt. Die Mindestbeteiligung von 20 Prozent wurde fast um das Vierfache übertroffen. Rund 32 000 Stimmen waren nicht gültig. 23,95 Prozent stimmten gegen den Koalitionsvertrag. „Auch bei denen bedanke ich mich ausdrücklich für ihre Teilnahme an diesem Mitgliedervotum“, sagte Gabriel. Auch diejenigen, die mit Nein gestimmt hätten, seien genauso gute und engagierte Sozialdemokraten, wie die Befürworter der großen Koalition.

CDU-Chefin Angela Merkel gratulierte Gabriel zur Beteiligung und zum Ergebnis des Mitgliederentscheids. Sie freue sich auf die Zusammenarbeit in der großen Koalition.

Die Besetzung der SPD-Ministerien galt bereits als gesichert. Als Vizekanzler und Superminister für Wirtschaft und Energie soll SPD-Chef Sigmar Gabriel ins Kabinett einziehen. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier soll das Außenministerium erhalten, Schatzmeisterin Barbara Hendricks Umwelt, Generalsekretärin Andrea Nahles Arbeit/Soziales, SPD-Vize Manuela Schwesig Familie und der saarländische Wirtschaftsminister Heiko Mass das Justizministerium.

Die CDU bekommt die Ministerien für Inneres, Finanzen, Verteidigung, Gesundheit und Bildung. Die CSU besetzt die Ressorts Verkehr/Digitales, Landwirtschaft und Entwicklungshilfe. Wolfgang Schäuble soll Finanzminister bleiben. Nach Informationen der „Rheinischen Post“ und von „Spiegel Online“ aus Parteikreisen soll der bisherige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe neuer Gesundheitsminister werden.

Laut „Rheinischer Post“ soll CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt Verkehrsminister werden, der bisherige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) kehre auf den Posten des Innenministers zurück. Johanna Wanka bleibe Bildungsministerin. Als neuer Entwicklungshilfeminister sei der bisherige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Gespräch.

Über das politische Schicksal des CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer gab es unterschiedliche Berichte. Es blieb zunächst unklar, ob er Agrarminister wird oder das Kabinett verlässt.

Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) gibt seinen Posten aus persönlichen Gründen auf. Als Nachfolger ist der bisherige Umweltminister Peter Altmaier (CDU) im Gespräch. Gabriel sagte zu den Personalspekulationen bei der Union: „Bei uns läuft es nicht besser oder schlechter, bei uns läuft es anders.“

Eine offizielle Bestätigung für die Personalien gab es zunächst nicht. CSU-Chef Horst Seehofer wollte erst am späten Nachmittag Gespräche mit möglichen CSU-Ministern führen. Auch nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) aus Parteikreisen galt es aber als wahrscheinlich, dass Ramsauer einem neuen Kabinett nicht mehr angehört.

Die SPD hatte bei der Bundestagswahl am 22. September nur 25,7 Prozent erreicht, die Union 41,5 Prozent. CDU/CSU fehlen aber fünf Sitze zur absoluten Mehrheit. Viele SPD-Mitglieder waren skeptisch gegenüber dem Bündnis mit der Union. Um zu verhindern, dass die Partei zerreißt, hatte Gabriel das Mitgliedervotum über den Ende November vorläufig unterzeichneten Koalitionsvertrag vorgeschlagen.

Gabriel verteidigte diese Entscheidung am Samstag. „Wir sind die Beteiligungspartei in Deutschland“, sagte er. „Bei uns wird nicht von Basisdemokratie geredet, wir leben sie. Ich war lange nicht mehr so stolz, Sozialdemokrat zu sein.“

Die Linken-Vorsitzenden Katja Kipping erklärte, sie habe großen Respekt vor allen SPD-Mitgliedern, die dem großen Druck der Parteiführung standgehalten und gegen den Koalitionsvertrag gestimmt hätten. Mit diese Votum besiegle die SPD einen Koalitionsvertrag, „der ein offener Verrat des SPD-Wahlprogramms“ sei. Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter sagte der Deutschen Presse-Agentur sie erwarte „nichts Gutes“ von der großen Koalition. „Wir erwarten eine Legislatur des Stillstands und der Trippelschrittchen, aber keine auf die Zukunft gerichtete Politik.“

Der Mitgliederentscheid hat die SPD 1,6 Millionen Euro gekostet. 400 freiwillige Helfer beteiligten sich an der Auszählung in einem früheren Postbahnhof in Berlin-Kreuzberg. Die ganze Aktion dauerte 14 Stunden. Ein Lkw aus Leipzig mit den Briefen war um kurz nach Mitternacht in Berlin eingetroffen. Die Auszählung wurde streng abgeschottet. Die Helfer mussten sogar ihre Handys abgeben.