Durchbruch beim Wahlrecht
Berlin (dpa) - Die Bundestagswahl im kommenden Jahr scheint gegen juristische Anfechtungen gesichert. Nach monatelangem Ringen um ein neues Wahlrecht einigten sich alle Fraktionen außer der Linken in Berlin grundsätzlich auf ein Modell, bei dem sämtliche Überhangmandate ausgeglichen werden.
Die CDU/CSU-Fraktion rechnet mit einer endgültige Einigung in der kommenden Woche. Für die SPD sprach Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann von einem großen Fortschritt: „Die Chancen sind jetzt gestiegen, dass wir uns bis Weihnachten auf einen konkreten Gesetzentwurf einigen.“
Die Reform war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht im Juli zentrale Teile des von Union und FDP durchgesetzten Wahlrechts für verfassungswidrig erklärt hatte. Die Karlsruher Richter monierten insbesondere die bisherige Praxis bei den Überhangmandaten und forderten bereits für die nächste Bundestagswahl eine Neuregelung.
Das jetzt gefundene Modell sieht grundsätzlich vor, dass Überhangmandate für eine Partei automatisch zu Ausgleichsmandaten für alle anderen Parteien führen, damit das Größenverhältnis zueinander erhalten bleibt. Das führt in etwa zu folgender Vorgehensweise: Partei A hat - um ein Beispiel zu nehmen - exakt doppelt so viele Parlamentssitze errungen wie Partei B. Wenn Partei A jetzt aber zusätzlich noch Überhangmandate geholt hat, dann müsste es im Gegenzug für Partei B so viele Ausgleichsmandate geben, bis die Zahl der Abgeordneten von Partei A wieder doppelt so groß ist wie bei Partei B. Das System ist allerdings so kompliziert, dass sich selbst Wahlrechtsexperten mit der genauen Berechnung schwertun.
Im Ergebnis dürfte dieses Modell jedoch dazu führen, dass der nächste Bundestag deutlich aufgebläht wird. Statt der aktuell 620 Abgeordneten könnten künftig mehr als 670 gut bezahlte Volksvertreter dem Parlament angehören, was bei der Linksfraktion auf deutliche Kritik stößt. Deren Rechtsexpertin Halina Wawzyniak monierte, das jetzt verabredete Modell hätte bei allen Bundestagswahlen seit 1994 zu einer teils erheblichen Vergrößerung des Parlaments geführt. Das sei jedoch nicht akzeptabel. „Ein größerer Bundestag bedeutet nicht mehr Demokratie.“
Die Grünen, die eigentlich auch gegen eine massive Parlaments-Vergrößerung sind, bezeichneten das Kompromissmodell als tragbar. „Entscheidend ist: Nur der Wähler entscheidet mit seiner Stimme über die Kräfteverhältnisse im Bundestag“, so erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck die Unterstützung der Grünen-Fraktion. Alternativmodelle, die ohne Vergrößerung ausgekommen wären, hätten nach seinen Worten andere Nachteile gehabt.
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erhält als ihr gemäß ihres Zweitstimmen-Anteils eigentlich an Sitzen zustehen. Ohne Ausgleichsregelung wären nach dem Karlsruher Urteil schon bei der nächsten Bundestagswahl nur noch maximal 15 erlaubt. Bei der Wahl 2009 gab es jedoch 24 Überhangmandate, die damals alle an CDU und CSU gingen.
Hätte es schon damals den jetzt verabredeten Ausgleichsmechanismus gegeben, bestünde der jetzige Bundestag nach jüngsten Berechnungen nicht aus 620, sondern aus 671 Abgeordneten. Ähnliche Zahlen will man jetzt wohl zumindest vorübergehend in Kauf nehmen, damit im kommenden Jahr überhaupt gewählt werden kann.
Die Frage, wann genau gewählt wird, sorgt jedoch weiterhin für Ärger. Die Union hat als Wahltermin den 29. September 2013 ins Auge gefasst. Dies stößt jedoch auf den Widerstand der Sozialdemokraten, weil an diesem Wochenende ausgerechnet in den SPD-Hochburgen Hamburg, Bremen und Brandenburg Herbstferien beginnen. Während die CSU auf einer Bundestagswahl am 29. September beharrt - also mit Abstand zur am 15. September geplanten Landtagswahl in Bayern -, fordert die SPD ein Datum vor den Herbstferien. Oppermann warnte: „Alles andere würde ich für verfassungspolitisch skandalisierbar halten.“