Hintergrund Ehe für alle: Merkels ungewollter Paukenschlag

Das Thema „Ehe für alle“ spaltet die Koalition — die SPD setzt sich über eine Vereinbarung mit der Union hinweg.

Foto: dpa

Berlin. Eigentlich ging es am Montagabend bei einer Veranstaltung der Zeitschrift „Brigitte“ im Berliner Gorki Theater nur um eine nette Plauderei, um das Leben einer Kanzlerin. Doch dann ließ Angela Merkel (CDU) eine Koalitionsbombe platzen. Ungewollt, wie sich später herausstellte.

Wie sie es denn mit der Ehe für Homosexuelle halte, wollte ein Fragesteller wissen. „Ich möchte die Diskussion mehr in die Situation führen, dass es eher in Richtung einer Gewissensentscheidung ist, als dass ich jetzt per Mehrheitsbeschluss irgendwas durchpauke“, lautete die eher verquaste Antwort der sonst so unerschütterlichen Kanzlerin. Um 21.23 Uhr lief die erste Eilmeldung über den Ticker: „Bundeskanzlerin Angela Merkel ist von dem klaren Nein ihrer CDU zur Ehe für alle abgerückt.“ Ein politischer Paukenschlag, denn das Thema ist hoch umstritten.

Eigentlich hatte sich die große Koalition darauf verständigt, die „Ehe für alle“ in dieser Legislaturperiode nicht mehr anpacken zu wollen. Nun wird der Bundestag auf Betreiben der SPD voraussichtlich am Freitag darüber abstimmen. Ein Gesetzentwurf des Landes Rheinland-Pfalz ist beim Parlament anhängig. Um ihn auch im Bundestag auf die Tagesordnung zu setzen, muss die SPD gemeinsame Sache mit Grünen und Linken machen, was gegen die Koalitionsdisziplin verstößt.

In ihrer Fraktion meinte Merkel am Dienstag, sie habe sich das Vorgehen bei der „Ehe für alle“ anders gewünscht. Aber die Abgeordneten sollten bei der Abstimmung dann frei nach ihrem Gewissen votieren. Der Fraktionszwang wird aufgehoben. Neben einigen Befürwortern gibt es in der Union freilich viele Gegner des Vorhabens. Sie kündigten gestern schon an, mit Nein zu stimmen.

Wie konnte ausgerechnet Merkel diese Panne passieren? Vertraute berichten, die Kanzlerin habe sich in einem Dilemma befunden. Zum Zeitpunkt des Gespräches mit der „Brigitte“ hat demnach bereits festgestanden, dass die Union den Umgang mit der „Ehe für alle“ in ihrem Wahlprogramm aufgreifen wird. Darauf hatte sich dem Vernehmen nach das CDU-Präsidium am Sonntag geeinigt — und mit der CSU abgeklärt.

Verkündet werden sollte das Vorgehen für die nächste Legislaturperiode aber erst am kommenden Montag bei der Vorstellung des Programms. Doch dann kam Merkels unbeholfene Antwort. Mit der prompten Reaktion der SPD hat sie wohl nicht gerechnet. „Ein Vertrauensbruch“, schimpfte gestern Volker Kauder. Der Unionsfraktionschef, so hieß es, sei von seinem SPD-Amtskollegen Thomas Oppermann am Rande der morgendlichen Trauerfeier in Berlin für Helmut Kohl informiert worden. Das muss den Unionsmann zusätzlich verärgert haben.

Es war dann reiner Zufall, dass die SPD am Tag nach Merkels Kehrtwende ein großes Schaulaufen in der Bundespressekonferenz angesetzt hatte. Kanzlerkandidat Martin Schulz saß eingerahmt von der kompletten Riege der sozialdemokratischen Bundesminister und Oppermann auf dem Podium. Schulz und die Seinen nutzten die meiste Zeit dafür, sich als glühende Verfechter eines raschen Parlamentsbeschlusses über die „Ehe für alle“ zu empfehlen. Zuvor hatte man die völlige Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Paaren schon zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung nach der nächsten Bundestagswahl gemacht.

„Das Gewissen ist nicht an Fristen gebunden“, meinte Schulz. Und Sigmar Gabriel, Außenminister und Vize-Kanzler, hielt medienwirksam einen Brief vom 24. November 2015 hoch, in dem er die Kanzlerin und CSU-Chef Horst Seehofer zu einer einvernehmlich Lösung bei der „Ehe für alle“ aufgefordert hatte. Zuletzt stand das Thema am 29. März dieses Jahres auf der Tagesordnung des Koalitionsausschusses. Doch auch dort hat die Kanzlerin nach Darstellung von Schulz noch alles abgeblockt.

Nachdem der SPD-Herausforderer am Montagabend von Merkels Sinneswandel erfuhr, soll er persönlich die Idee gehabt haben, erstmals in dieser Wahlperiode vom eisernen Prinzip der Koalitionsdisziplin abzukehren, wonach ein Regierungspartner nicht gegen den Willen des anderen ein Thema auf die Tagesordnung setzt - und das mit Schützenhilfe der Oppositionsparteien. Eine Kampfansage. Offenbar reagiere die Kanzlerin nur auf solchen Druck, hieß es. Dass die große Koalition drei Monate vor ihrem regulären Ende deshalb noch platzen könnte, waberte zunächst als Gerücht durch Berlin. Aber weder Union noch SPD hatten dies ernsthaft erwogen. „Ich glaube nicht, dass die Union sagt, wir machen vorgezogene Neuwahlen im August“, erklärte Gabriel süffisant.