Verkehr Ein Blick aufs Handy —14 Meter im Blindflug

Innenminister Jäger macht auf die Gefahren des Telefonierens im Auto aufmerksam. Landesweit wurden immerhin 100 000 erwischt.

Am Steuer ist jeder Blick aufs Handy einer zu viel.

Foto: Monika Skolimowska

Düsseldorf. „90 Prozent der Autofahrer“, so zitiert NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) eine Studie des Kfz-Sicherheitsüberwachers Dekra, „geben zu, dass sie schon einmal am Steuer telefoniert haben“. Und drei Prozent der Autofahrer, „die jetzt in dieser Sekunde im Straßenverkehr unterwegs sind, haben das Handy am Ohr. Das ist wie eine Seuche“, fährt Jäger fort. Dieser „Seuche“ will er vor allem durch Aufklärung beikommen. Dafür steht er am Freitag im Düsseldorfer Medienhafen und macht die Gefahr plastisch.

Er erzählt von einem Fall, in dem eine junge Frau auf gerader Strecke in den Gegenverkehr geriet. Dort stieß sie mit ihrem Pkw mit einem engegenkommenden Wagen zusammen. Sie starb noch an der Unfallstelle. In ihrem Auto lag ein Smartphone mit einer angefangenen SMS.

Wer im Fahren eine SMS schreibe, reagiere wie ein Fahrer mit 1,1 Promille im Blut, sagt Jäger. Telefonieren am Steuer ohne Freisprechanlage sei so gefährlich wie 0,8 Promille Alkohol im Blut. Vor Jägers Stehpult ist eine 14 Meter lange schwarze Plane ausgerollt. Darauf stehen Pappkarton-Figuren in Originalgröße: eine Frau mit Rollator, ein Jugendlicher auf dem Skateboard, ein Junge, der seinem Fußball hinterherläuft, ein Hund. Warum 14 Meter? Die für einen Fußgänger beeindruckend große Strecke schmilzt ganz schnell zusammen, wenn ein Auto sie mit einem Tempo von 50 Stundenkilometern zurücklegt. Das dauert eine Sekunde. Eben die Sekunde, in der der Fahrer auf sein Handy blickt und in diesem Blindflug alle gefährdet, die plötzlich auf der Straße auftauchen könnten. „Ein Zusammenstoß mit einem Fußgänger bei Tempo 50 endet für diesen in acht von zehn Fällen tödlich“, sagt Jäger.

Der für die Polizei zuständige Minister nimmt vorweg, was manch einer über die Aufklärungsaktion und auch über die Kontrollen denken mag, die in diesem Jahr bereits zu 100 000 geahndeten Handy—Verstößen führten — dafür gibt es übrigens 60 Euro Bußgeld und einen Punkt in Flensburg. Wer hier fragt, ob die Polizei denn nichts Besseres zu tun habe, dem hält Jäger entgegen, dass es sehr wohl der Job der Polizei sei, Menschen davor zu schützen, im Verkehr zu Tode zu kommen.

Nicht nur das Handy, auch das Fingern am Navigationsgerät ist eine erhebliche Gefahrenquelle, auf die der Verkehrssicherheitsrat aufmerksam macht. Die Experten räumen mit dem Mythos Multitasking auf. Mit dem Irrglauben, dass Autofahrer, die das Fahren als Routine empfinden, sich zutrauen dürften, nebenher anderes zu tun. „Die Annahme, dass der Mensch multitaskingfähig sei, ist ein fataler Irrglaube, denn das Verkehrsgeschehen ist unberechenbar, und wir müssen auf unerwartete Ereignisse permanent angemessen reagieren können“, mahnen die Experten. Telefonieren während einer Autofahrt beanspruche die Konzentration deutlich stärker als eine Unterhaltung mit dem Beifahrer. Der sich nicht im Auto befindliche Gesprächspartner könne nicht wie ein Beifahrer wissen, wie sehr der telefonierende Verkehrsteilnehmer gerade mit einem komplexen Fahrvorgang beschäftigt ist oder warum es etwa eine Gesprächspause gibt.

Regisseur Werner Herzog hat vor ein paar Jahren einen Dokumentarfilm gedreht. In „Von einer Sekunde zur nächsten“ zeichnete er Unfälle nach, zu denen es nur kam, weil jemand sich das Multitasking am Steuer zugetraut hatte — und dafür sein und anderer Leben dramatisch veränderte oder beendete.