Bertelsmann-Studie Erfolg der Rechtspopulisten: Nicht feste Werte sondern Ängste zählen
Bisher wurde vermutet, dass eine liberale Gesellschaft und Themen wie die Homoehe populistischen Parteien wie der AfD Zulauf bringen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung widerspricht.
Gütersloh. Was treibt rechtspopulistischen Parteien in Europa die Wähler zu? Sind es persönlichen Werte, also zum Beispiel die Angst vor einer zu liberalen Gesellschaft? Ganz und gar nicht, sagen Wissenschaftler der Gütersloher Bertelsmann-Stiftung. Nach einer Studie aus ihrem Haus gibt es ein länderübergreifendes Phänomen: Die Mehrheit der Anhänger von Parteien wie der deutschen AfD, der französischen Front National, der FPÖ in Österreich, der italienischen Forza Italia oder der britischen und EU-kritischen UKIP sieht in der Globalisierung eine Bedrohung.
Dabei spielt das Flüchtlingsthema die größte Rolle. Globalisierungs-Pessimisten fürchten sich nach der Analyse der Bertelsmann-Stiftung mit 53 Prozent am meisten davor, wie die Migration von Flüchtlingen in ihren Ländern gelingen soll. Erst dann folgen mit großem Abstand die Angst vor Kriegen, Armut, Kriminalität (alle 45 Prozent), Wirtschaftskrisen und Terrorismus (beide 43) und Umwelt (42).
Dass die traditionellen Werte wie ein konservatives oder autoritäres Weltbild der potenziellen Wähler von Populisten eine eher untergeordnete Rolle spielt, hat die Forscher der Bertelsmann-Stiftung überrascht. „Das das Ergebnis so klar in Richtung Angst vor Globalisierung ausfällt, damit habe ich nicht gerechnet“, sagt Isabell Hoffmann, Autorin der Studie. Dass jetzt das Angstgefühl der Hauptgrund ist, darin sehen die Forscher aber durchaus etwas Positives. Die Politik könne das Thema Angst leichter auflösen als seit Jahren gefestigte Werte.
Die Auseinandersetzung mit den Ängsten bei der Globalisierung, im Speziellen bei Flüchtlings- und Migrationsfragen, gehört laut Studie zu den zentralen politischen Herausforderungen der kommenden Jahre für die Politiker im EU-Raum. „Nur wer sie aufzulösen weiß, wird Wähler von den populistischen Parteien zurückgewinnen können“, lautet das Fazit der Studie.
Dumm nur: Laut Studie sind Globalisierungsängste immer auch gekoppelt an eine ablehnende Haltung gegenüber Politik und Gesellschaft. Nicht mal jeder 10. der Globalisierungspessimisten (9 Prozent) vertraut Politikern allgemein und weniger als die Hälfte (38 Prozent) ist zufrieden mit der Demokratie in ihrem Land.
Bei der Forderung der Studien-Autoren an die Politik wurden die Forscher bereits von aktuellen Entwicklungen eingeholt. Laut Beobachtungen der Bertelsmann-Stiftung haben die Parteien in Europa bereits reagiert und Strategien entwickelt. Als Beispiele nennt die Studie dafür die „Methode May“ und „Methode Merkel“. Die britische Premierministerin Theresa May hat ihre politische Rhetorik umgestellt. Auf dem Tory-Parteitag in Birmingham im Oktober 2016 machte May Aussagen, die mit der bisherigen Parteilinie nicht übereinstimmten.
„Eigentlich waren nicht die Tory-Wähler ohne Globalisierungsängste ihr Ziel, sondern UKIP- und Labour-Wähler“, heißt es im Fazit der Studie. Bei Merkel sei ein deutlicher Politik-Schwenk mit Änderungen in der Flüchtlingspolitik zu beobachten. Allerdings fehle bei der Kanzlerin bislang ein nachhaltiges rhetorisches Zeichen. Das sei bei der Finanzkrise mit dem Hinweis auf die sicheren Spareinlagen der Bürger anders gewesen. Die Studie erinnert an den Moment, als die Kanzlerin sich zusammen mit Peer Steinbrück im Herbst 2008 an die Bundesbürger wandte.
Im November veröffentlichten die britischen Meinungsforscher der Firma YouGov ebenfalls Zahlen zum Thema Populismus. Demnach sind die Deutschen im EU-Vergleich am wenigsten empfänglich für populistische Politik. So teilen in Deutschland 18 Prozent der Wähler politische Überzeugungen, die von Parteien wie der AfD bedient werden. In Polen hingegen sind es 78 Prozent, in Frankreich 63 und in den Niederlanden 55 Prozent.
Bertelsmann-Stiftung und YouGov stimmen in einem Punkt allerdings nicht überein. Bei der Frage, wer eher Sympathie für rechtspopulistische Parteien hat, sagt You-Gov: Je älter desto mehr. Außerdem gebe es auch bei Wählern mit mittlerem Bildungsniveau ein hohes Potenzial. In diesem Punkt gibt es klaren Widerspruch von der Bertelsmann-Stiftung: „Je niedriger das Bildungsniveau, je geringer das Einkommen und je älter die Menschen sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie Globalisierung als Bedrohung wahrnehmen.“