EUGH-Urteil löst Antragsflut auf Kindergeld aus

EU-Bürger, die in Deutschland arbeiten, erhalten Unterstützung. Die Ansprüche gelten auch rückwirkend.

Foto: Waltraud Grubitzsch

Nürnberg. Wer als Bürger der Europäischen Union in Deutschland arbeitet und uneingeschränkt steuerpflichtig ist, hat Anspruch auf Kindergeld — selbst wenn der Nachwuchs nicht in Deutschland lebt. Dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von Juni 2012 könnte jetzt Konsequenzen für den Steuerzahler haben. Denn die regelrechte Antragsflut bei den Familienkassen der Arbeitsagenturen könnte den Bundeshaushalt nach Schätzungen des Bundesfinanzministeriums mittelfristig mit rund 600 Millionen Euro belasten.

„Das Urteil hat sich offensichtlich schnell herumgesprochen“, sagt Ilona Mitschkin, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. „Die aktuelle Flut der Anträge hat auch damit zu tun, dass die Ansprüche für vier Jahre rückwirkend geltend gemacht werden können.“

Vor allem zahlreiche Anträge von Leih- und Gastarbeitern aus Polen und Tschechien sorgen in der Familienkasse der sächsischen Landesagentur in Bautzen für Probleme. Dort werden die Anträge aus den angrenzenden Staaten bearbeitet — rund 30 000 davon liegen derzeit auf den Schreibtischen. Nach einem Bericht der „Welt“ arbeiten mittlerweile zwei Teams in Bautzen die Anträge ab. In anderen Bundesländern gäbe es dieses Szenario nicht, berichtet Mitschkin.

Fast 57 Prozent des Kindergeldes für im Ausland lebenden Nachwuchs geht nach Polen und Tschechien — jeweils mehr als 28 Prozent. Die Slowakei liegt mit 25 Prozent auf Rang drei vor Ungarn (18 Prozent). Insgesamt sind die Kindergeldanträge aus dem Ausland bis Ende 2013 um 30 Prozent angestiegen.

Der polnische Saisonarbeiter Waldemar Hudzinski hatte vor sechs Jahren für drei Monate in Deutschland gearbeitet und Kindergeld beantragt. Die Familienkasse lehnte das Gesuch damals ab, Hudzinski klagte sich bis zum Europäischen Gerichtshof durch und bekam Recht.

Ein Antragsteller, der für 1000 Euro im Monat arbeitet und zwei Kinder hat, kann seinen Lohn dank des Kindergeldes um knapp 40 Prozent steigern, denn für die ersten beiden Kinder werden 184 Euro gezahlt. Für das dritte Kind gibt es 190 und für jedes weitere 215 Euro.

In Nordrhein-Westfalen werden die Familienkassen indes nicht mit Arbeit belastet, da das Land sich nicht um Anfragen aus dem Ausland kümmern muss. So gehen Anträge aus den Benelux-Staaten oder Frankreich nach Rastatt in Baden-Württemberg, Arbeitskräfte aus Österreich bekommen ihr Kindergeld beispielsweise aus Regensburg.

Bei den inländischen Kindergeldzahlungen gibt es nach Informationen der Familienkassen keine Probleme. Aufgrund der Vielzahl der ausländischen Anträge würden viele Leih- und Saisonarbeiter seit mehr als einem Jahr auf die Zahlung des Kindergeldes warten.