Ex-Sicherungsverwahrte haben Recht auf Entschädigung
Karlsruhe (dpa) - Ehemalige Sicherungsverwahrte haben einen Anspruch auf Entschädigung, wenn sie zu lange eingesperrt waren. Das entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe im bundesweit ersten Entschädigungsprozess dieser Art.
Die Richter sprachen vier verurteilten Vergewaltigern Entschädigungen zwischen 49 000 und 73 000 Euro zu und bestätigten damit das Urteil aus erster Instanz. Zahlen muss im konkreten Fall das Land Baden-Württemberg (Az. 12 U 60/12 u.a.). Das Urteil dürfte Signalwirkung haben.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte 2009 die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung für rechtswidrig erklärt. Nach unterschiedlichen Erhebungen sind bundesweit zwischen 80 und 100 Straftäter betroffen. Allein gegen den Bund sind elf Entschädigungsklagen anhängig. Hinzu kommen weitere, die sich - wie im Karlsruher Verfahren - gegen Bundesländer richten.
Die Kläger hatten unter anderem wegen Vergewaltigung - in einem Fall zudem wegen Mordversuchs - Haftstrafen bis zu 15 Jahren verbüßt. Danach saßen sie zehn Jahre in Sicherungsverwahrung, was zur Zeit ihrer Verurteilung das Maximum war. 1998 jedoch kam eine Gesetzesänderung: Die unbefristete Verwahrung wurde möglich. Statt entlassen zu werden, blieben die Männer weitere acht bis zwölf Jahre eingesperrt. Nach der Entscheidung des EGMR steht fest: Diese Verlängerung verstieß gegen die Menschenrechtskonvention.
Für die Karlsruher Richter war klar: In derartigen Fällen folgt direkt aus der Konvention ein Anspruch auf Schadensersatz. Der Vorsitzende Richter Michael Zöller betonte, dass dies keine Relativierung des Leids der Opfer bedeute: „Das sind vier Leute, die sicherlich großen Schaden angerichtet haben. Es hindert sie niemand daran, mit dem Geld den Schaden wieder auszugleichen.“ So etwas könne das Gericht allerdings nicht anordnen.
Das OLG bestätigte auch, dass der Entschädigungsanspruch gegen das Bundesland geltend gemacht werden kann, das die Sicherungsverwahrung vollstreckt hatte. Der Anwalt des Landes Baden-Württemberg hatte argumentiert, das Land habe keine Alternative gehabt, als die vom Bund erlassenen Gesetze zur Sicherungsverwahrung zu vollziehen. Zur Frage, ob das Land Revision zum Bundesgerichtshof einlegen werde, gab es vom Justizministerium in Stuttgart zunächst keine Stellungnahme.
Der Vorsitzende Richter hatte in der Verhandlung kritisiert, dass sich das Land nicht sofort im Wege der sogenannten Sprungrevision an den BGH gewandt habe. Damit hätte man die Verhandlung vor dem OLG sparen können. „Diese Instanz kostet Anwaltsgebühren von 30 000 Euro, die das Land zu zahlen hat“, sagte Zöller.