Streit um Verteilung Flüchtlinge: EU-Kommission geht gegen drei Staaten vor
Straßburg (dpa) - Wegen mangelnder Teilnahme an der Umverteilung von Flüchtlingen geht die EU-Kommission gegen Ungarn, Polen und Tschechien vor.
Die Behörde habe beschlossen, so genannte Vertragsverletzungsverfahren zu eröffnen, sagte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos in Straßburg. Diese können nach einem längeren Verfahren in einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und in Geldstrafen münden. Die Entscheidung sei gefallen und werde am Mittwoch im Detail veröffentlicht, sagte Avramopoulos. Ungarns Regierung sprach von Erpressung und uneuropäischem Verhalten. Auch Polen und Tschechien wollen nicht einlenken.
Die EU-Staaten hatten im September 2015 gegen den Widerstand der Slowakei, Ungarns, Tschechiens und Rumäniens die Umverteilung von bis zu 120.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland beschlossen. Ein zweiter Beschluss zur Umverteilung weiterer Flüchtlinge ist unumstritten - aus beiden ergibt sich eine Gesamtzahl von bis zu 160.000 Personen.
Dies sollte die beiden Hauptankunftsländer für Bootsflüchtlinge entlasten. „Wir können und wollen die Mitgliedsstaaten an den Außengrenzen nicht allein lassen“, versprach Avramopoulos. Er hoffe, dass die drei Regierungen ihre Entscheidungen noch überdenken würden.
Bei der Aufnahme der Flüchtlinge hätten die Staaten keine Wahl, sagte Avramopoulos. „Es ist eine rechtliche Entscheidung, mit rechtlichen Verpflichtungen, auf die man sich gemeinsam geeinigt hat.“
Ungarn und die Slowakei haben dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg geklagt, ein Urteil wird im Herbst erwartet. Er sei „zuversichtlich“, dass Brüssel in dem Fall Recht bekomme, sagte Avramopoulos.
Die härteste Reaktion kam aus Budapest. Ungarns Außenminister Peter Szijjarto sagte: „Die ungarische Regierung betrachtet dies als eine Erpressung und als ein uneuropäisches Verhalten (...) Die Regierung wird sich dieser Erpressung nicht beugen.“ Die Europäische Kommission könne den Mitgliedsländern nicht das Recht streitig machen, selbst zu entscheiden, wen das betreffende Land auf sein Territorium lässt und mit wem es zusammenleben will und mit wem nicht, sagte Szijjarto.
Tschechien machte noch vor der offiziellen Bekanntgabe deutlich, dass es künftig keine Flüchtlinge auf Grundlage des EU-Beschlusses aufnehmen will, wie Regierungschef Bohuslav Sobotka am Dienstag der Nachrichtenagentur CTK sagte.
Polen kritisierte das Vorgehen der EU-Kommission. „Die Entscheidung der Europäischen Kommission kann uns von der Ausarbeitung des notwendigen politischen Kompromisses bei der Flüchtlingspolitik entfernen“, sagte Polens Vize-Außenminister Konrad Szymanski nach Angaben der Agentur PAP. Die Maßnahmen drohten die Teilung innerhalb der EU zu vertiefen. Ihren Widerstand gegen eine Umverteilung begründet Polens Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit Sicherheitsbedenken.
Die EU-Kommission handelt mit der Einleitung der Verfahren nun noch vor Ablauf der Zwei-Jahres-Pflicht im September, die die Staaten sich selbst für die Umverteilung gesetzt hatten. Der Europarechtler Daniel Thym von der Universität Konstanz hält dieses Vorgehen für rechtlich begründbar. „Die Mitgliedsstaaten haben die Pflicht, aktive Anstrengungen zu unternehmen, dass die europäischen Vorgaben auch eingehalten werden“, erklärte er auf dpa-Anfrage.
Nachdem die Umverteilung innerhalb Europas lange nur äußerst schleppend vorankam, zeigte sich Avramopoulos nun zufrieden mit dem Tempo, das im laufenden Jahr deutlich angezogen habe. Mittlerweile seien 20.869 Migranten aus Italien und Griechenland von anderen europäischen Staaten aufgenommen worden. Es sei immer noch möglich bis September alle noch in Frage kommenden Migranten umzuverteilen, so Avramopoulos. Das sind laut EU-Kommission etwa 13 000 Personen, wobei in Italien eine unbekannte Zahl noch nicht registrierter Flüchtlinge hinzukommt.
Nur Migranten mit guten Chancen auf Anerkennung als Flüchtling oder Schutzberechtigter kommen für die Umverteilung in Frage - es kommt also auf die Anerkennungsquote der jeweiligen Nationalität an. Es gibt nicht genug Kandidaten, um die mögliche Gesamtzahl von 160 000 Personen zu erreichen.