Bezahlbare Wohnungen Flüchtlinge verstärken Wohnungsnot in Städten

Mietervereins-Chef Wild fordert mehr Sozialwohnungen und Anreize zur leichteren Untervermietung

Bezahlbare Mieten in Berlin fordert auch dieses Graffito am Kottbusser Tor in Kreuzberg.

Foto: Jens Kalaene

Berlin. Überall in Deutschland ziehen die Menschen in die Ballungsräume; jetzt kommen noch die Flüchtlinge dazu. Vor allem billige Mietwohnungen sind knapp. Über mögliche Lösungen sprach unser Hauptstadt-Korrespondent Werner Kolhoff mit Reiner Wild. Der 61jährige ist seit über 30 Jahren Chef der mit 160.000 Mitgliedern größten Mieterorganisation in Deutschland, des Berliner Mietervereins.

Wie wirkt sich die Entwicklung am Wohnungsmarkt in Berlin aus?

Reiner Wild: Wir hatten seit drei Jahren in Berlin ohnehin einen Zuzug von jährlich über 40.000 Menschen. Jetzt kommen rund 50.000 Flüchtlinge allein in 2015 dazu. Das bedeutet, die Mieter, vor allem gering Verdienende, geraten auf dem Wohnungsmarkt massiv unter Druck. In den anderen Ballungszentren dürfte es ähnlich sein.

Wie viele Wohnungen fehlen?

Wild: Allein in Berlin derzeit rund 150.000. In der Vergangenheit wurde zwar mehr gebaut, aber das waren vor allem Eigentumswohnungen und hochpreisige Mietwohnungen. Preisgünstiger Wohnraum ist ohne öffentliche Förderung aufgrund der hohen Baukosten im Grunde nicht herstellbar; derzeit werden in Berlin nur 1000 bis 3000 Sozialwohnungen pro Jahr genehmigt. Das ist viel zu wenig.

Was müsste geschehen?

Wild: Das Angebot an neuem, preisgünstigem Wohnraum muss viel schneller steigen. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften müssen gestärkt werden und sie müssen bei ihren Neubauprojekten mehr als ein Drittel Sozialwohnungen errichten. Zusätzlich müssen auch private Vermieter durch Steuervergünstigungen einen Anreiz bekommen, preisgünstige Wohnungen zu errichten. Früher gab es dazu die Regelung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Über das oder Ähnliches muss man wieder nachdenken.

Auch bei den Mietern gibt es eine Wohnraumreserve. Viele bleiben in ihren großen Wohnungen, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Gäbe es hier Möglichkeiten?

Wild: In der Tat gibt es gerade in Städten mit großem Altbaubestand und relativ großen Wohnungen solche Kapazitäten. Um sie zu heben, müsste das Recht zur Untervermietung erleichtert werden. Wir brauchen hier eine Umkehr: Der Mieter muss grundsätzlich untervermieten dürfen. Derzeit muss der Mieter um Zustimmung bitten und der Vermieter kann das verweigern. Dann drohen jahrelange juristische Auseinandersetzungen. Das schreckt ab.

Würden auch Anreize helfen?

Wild: Ja. Es ist in der heutigen Zeit für viele nicht selbstverständlich, Bad oder Küche mit einem Untermieter zu teilen. Deshalb bräuchte man für die Untervermietung an Menschen in Not bestimmte Anreize, etwa in Form von Zuschüssen.

Die Regierung arbeitet derzeit an einem neuen Mietrechtspaket. Wird das den Druck auf die Mieter lindern?

Wild: Auch wir haben immer gefordert, die Mieterhöhung bei Modernisierung einzuschränken. Allerdings sind auch acht statt elf Prozent Umlage auf angespannten Wohnungsmärkten noch zu viel; so wird die Verdrängung von Mietern noch nicht vermieden. Die Prozentumlage sollte abgeschafft werden. Stattdessen sollte ein Zuschlag direkt an die Energieeffizienzsteigerung gekoppelt sein, sich also an den Einsparungen, die die Mieter tatsächlich bei Heizkosten und Warmwasser haben, orientieren.