Gabriel dreht die Stimmung

Der SPD-Chef wirbt im Bezirk Hessen-Süd um Unterstützung — und hat damit Erfolg.

Hofheim. Im Foyer der Hofheimer Stadthalle liegt ein großer Stapel Koalitionsverträge aus. 185 Seiten dick, kompliziert und umstritten. Daneben haben die örtlichen Jungsozialisten eine Postkarte mit einer einfachen Abbildung ausgelegt. Großer schwarzer Hai mit Namen CDU frisst kleinen roten Fisch mit Namen SPD. „Kein Ausverkauf unserer Inhalte und Werte“, verlangt der SPD-Nachwuchs.

Das sind die Ausgangspositionen bei der Regionalkonferenz des SPD-Bezirksverbandes Hessen-Süd, die Donnerstagabend in der Kreisstadt am Taunus stattfindet. Der ersten, seit die Verhandlungen in Berlin beendet sind. 900 Mitglieder sind gekommen, der Saal ist voll. Der Bezirk gehört traditionell zur Parteilinken. Hier sitzen eher die Skeptiker einer Zusammenarbeit mit der CDU. Viele haben den Vertrag gelesen, sagen, sie stoßen sich an Details oder haben Angst, als Partei wieder unterzugehen.

Das ist die Stimmung, bevor es losgeht. In diesem Saal bekommt Sigmar Gabriel schon nach fünf Minuten Beifall. Als er nach 40 Minuten endet, klatschen die meisten rhythmisch. Es ist ein erster Stimmungstest für das SPD-Basisvotum, das nun per Briefwahl bis zum 12. Dezember bundesweit läuft.

Gabriel macht es geschickt. Er geht die Punkte durch, die die Jusos kritisch sehen. „Jetzt muss ich auch noch euer Flugblatt vorlesen.“ Dass Regieren kein Selbstzweck sein dürfe, steht da. „Das stimmt“, sagt Gabriel.

„Aber Nichtregieren darf auch kein Selbstzweck sein.“ Beifall. Es wird kritisiert, dass der Mindestlohn zwar 2015 kommt, bis Ende 2016 aber noch Tarifverträge darunter abgeschlossen werden dürfen. Das genau hätten die Gewerkschaften gewollt, weil sie die Chance sähen, in bisher tariflosen Gebieten Abschlüsse zu machen, sagt Gabriel. „Und dann nicht nur über Löhne“. Beifall.

Er liest aus dem Brief einer Rentnerin vor. Der Mann profitiert von der Rente mit 63, die Frau von der Mütterrente. Der Brief endet mit den Worten: „Ich bin überzeugt, dass die Mitglieder der SPD zustimmen werden. Ihre treue Wählerin.“

Gabriel lässt diese Worte sacken. Vorher hat er dargestellt, dass die SPD so viele treue Wähler nicht mehr hat. Weil sie das Vertrauen in die soziale Kompetenz der Partei verloren haben. Jetzt ist es wieder da. Mit diesem Koalitionsvertrag. Thorsten Schäfer-Gümbel, Landeschef, Parteivize und Repräsentant der Parteilinken, ruft pathetisch: „Wir verändern das Land.“

Normalerweise melden sich bei solchen Veranstaltungen eher die, die dagegen sind. So lassen sich auch viele Jusos und andere Kritiker auf die Rednerliste setzen. Aber schon der dritte Redner sagt: „Ich war vorher 50 zu 50, jetzt bin ich dafür.“ Ein IG-Metall-Funktionär appelliert, mit Ja zu stimmen. Ein Juso sagt, dass er schwankt, nennt ein paar Kritikpunkte und endet mit: „Ich bin mir auch noch nicht sicher.“

Kritiker werden unterbrochen oder ernten Zwischenrufe. Bald mag keiner mehr so richtig dagegen sein oder nur ganz vorsichtig. Die letzten Redner beginnen mit: „Eigentlich wollte ich. . .“ — und sagen dann, dass sie doch mit Ja stimmen. Die Stimmung ist gekippt.