Präsidentschaftskandidat Gabriels Coup: Die Union akzeptiert Frank-Walter Steinmeier als Präsidentschaftskandidat
Berlin. Sigmar Gabriel bewahrt die Contenance. Eigentlich müsste er hier im Willy-Brandt-Haus vor den Mikrofonen und Kameras sozusagen vor Stolz platzen, nachdem ihm der Coup schlechthin in seiner bisherigen politischen Laufbahn gelungen ist.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier soll der nächste Bundespräsident werden. Die Union hat Gabriels Vorschlag akzeptiert, wenn auch zähneknirschend. Doch der SPD-Chef setzt kein Siegerlächeln auf. In der Stunde des Triumphs gibt er sich staatstragend und bescheiden. Ein neuer Gabriel, witzeln sie in der Parteizentrale.
Wie groß sein Anteil gewesen sei, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer am Ende Steinmeier gebilligt hätten, wird er gefragt: "Ich habe gar nichts geschafft, sondern die Person Frank-Walter Steinmeier hat überzeugt." Das ist nur bedingt wahr. Sicher, Steinmeier ist beliebt wie kein anderer, Kritik an ihm persönlich gab es aus der Union in den letzten Tagen nicht.
Aber Gabriel hat CDU und CSU taktisch gewieft mit seinem überraschenden Personalvorschlag in die Bredouille gebracht. Er ist volles Risiko gegangen, weil er ahnte, wie schwer sich Angela Merkel damit tun würde, einen eigenen Kandidaten oder einen gemeinsamen Anwärter für Schloss Bellevue zu finden. Diese Schwäche hat der Genosse entgegen aller Absprachen ausgenutzt - man nennt das salopp formuliert "großes Kino". So einer könnte vielleicht auch Kanzler. Jedenfalls werden die innerparteilichen Kritiker des Vorsitzenden wohl erst einmal für längere Zeit verstummen.
"Er hat sich nicht an die Spielregeln gehalten", schimpfen sie hingegen an diesem Tag immer noch in der Union. Das wird in der Koalition nachwirken. Auch bei Merkel. Denn sie steht nun politisch ziemlich zerzaust da. Mal wieder, wenn es um die Präsidentenfrage geht. Wie kann es sein, dass die Kanzlerin keinen Kandidaten in der eigenen Partei findet - und der vor allem auch das Zeug zum Staatsoberhaupt hat? Was sagt das über den Zustand der Merkel-Partei? Fragen, die noch beantwortet werden müssen.
Es ist 8.30 Uhr morgens, als die Kanzlerin zur ersten Telefonschalte mit dem Parteipräsidium bittet, dann folgt noch eine mit dem Bundesvorstand. Sehr sachlich und nüchtern sei die Lage debattiert worden, berichten Teilnehmer. Merkel verweist darauf, dass die Bevölkerung gerade nach der US-Wahl das Gefühl habe, alles laufe irgendwie aus dem Ruder. Da könne man nicht auch noch in eine Konfrontation gehen und einen Wahlkampf um Schloss Bellevue führen. "Es ist eine Entscheidung der Vernunft", sagt Merkel dem Vernehmen nach.
Später wird sie Steinmeier telefonisch über das positive Votum informieren und ihn vor der Presse einen "Mann der politischen Mitte" nennen. Bei der Schalte mit den Unionsgranden räumt sie zugleich ein, dass die von ihr auserkorenen Kandidaten abgesagt hätten - und es sollen einige gewesen sein. Am Ende werden alle Konstellationen von der Parteispitze noch einmal abgewogen. Auch die schwarz-grüne, die in der Bundesversammlung eine Mehrheit hätte. Doch schnell wird klar, dass seit den Beschlüssen des grünen Parteitages vom Wochenende Ministerpräsident Winfried Kretschmann nur noch wenigen in der Union zu vermitteln ist. Erst recht nicht der CSU.
Also alle für Steinmeier. Weil man schlichtweg keine Alternative hat. "Herr Steinmeier löst bei mir keine Euphorie aus", sagt die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zu unserer Redaktion. Aber er sei ein "respektabler Außenminister und er wird sicherlich auch ein respektabler Bundespräsident sein. Insofern unterstütze ich die Wahl." Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer betont von München aus: "Er ist gut geeignet, das gilt für die fachliche Seite und die menschliche Seite." Unzufrieden bleibt der Bayer trotzdem, dass man niemanden mit "CDU-Aushängeschild" gefunden hat.
Wer Seehofer kennt, der weiß: Dieser Umstand liegt auf Wiedervorlage. Nur einer wird an diesem Tag noch deutlicher: Wie so oft ist es Finanzminister Wolfgang Schäuble. Er wird aus der Schaltkonferenz mit den Worten zitiert, die Nominierung Steinmeiers sei "eine Niederlage" für die Union. Merkel nimmt es hin. Die Debatte darüber ist für die Vorsitzende deshalb aber nicht vorbei. Sie fängt gerade erst an.