Analyse Gabriels Zeitplan gerät ins Trudeln

Debatte um Kanzlerkandidatur des SPD-Chefs nimmt Fahrt auf - Merkel könnte die Entscheidung beschleunigen

Sigmar Gabriel

Foto: Kay Nietfeld

Dresden. Anfang nächsten Jahres wollte die SPD ihren Kanzlerkandidaten küren, nicht eher. So lange sollte Diskussionsdisziplin herrschen. Doch es könnte anders kommen. Sigmar Gabriel, der als Parteichef den ersten Zugriff hat, gerät immer mehr unter Druck, sich frühzeitig zu entscheiden. Denn mit der Disziplin der Genossen ist es nicht sehr weit her.

Ein Beispiel ist Thomas Oppermann, Fraktionschef. Vor zwei Wochen nannte er auf eine entsprechende Journalistenfrage zwar öffentlich brav den alten Fahrplan, Anfang des Jahres, fügte dann aber hinzu: "Vielleicht auch schon ein bisschen früher". Prompt begannen Spekulationen. Genährt wurden sie auch durch den Chef der nordrhein-westfälischen SPD-Landtagsfraktion, Norbert Römer, der in einem Blog unter dem Titel "Ein Plädoyer für Sigmar Gabriel" ungeschminkt seine Präferenz mitteilt. Darüber diskutierte dann wiederum letzte Woche die SPD-Landesgruppe Niedersachsen im Bundestag. In Niedersachsen gibt es wegen CETA und aus seinen früheren Zeiten als Ministerpräsident viele Gabriel-Kritiker, die sich jetzt äußerten. Gabriel fehle es an Rückhalt in Partei und Bevölkerung, sagten sie und spielten Details der höchst internen Aussprache absichtsvoll der Presse zu.

Das ist genau das, was die Parteiführung um jeden Preis vermeiden wollte: Dass der Kandidat zerredet wird. Die SPD wollte außerdem aus den Fehlern vor vier Jahren lernen. Damals wurde Peer Steinbrück schon Anfang Oktober 2012 - ein Jahr vor der Bundestagswahl - wie in einer Sturzgeburt zum Herausforderer ernannt. Frank-Walter Steinmeier hatte einigen Journalisten ohne Vorwarnung der anderen Parteigrößen gesagt, dass er es nicht werden wolle, woraufhin Gabriel sich sofort entscheiden musste - ebenfalls dagegen - und nur Steinbrück übrig blieb. Die Folge der unkoordinierten Aktion: Die Partei war auf den Kandidaten nicht vorbereitet - und der Kandidat nicht auf die Partei. Die Wähler merkten das bald.

Nicht noch einmal so einen frühen Wahlkampfstart, ist die Losung in der Parteiführung. Außerdem brauche man die Zeit bis Weihnachten, um zunächst einmal die wichtigsten inhaltlichen Fragen zu klären. Bei TTIP und CETA ist das seit dem Parteikonvent vorletzte Woche in Wolfsburg geschehen. Die Großthemen Rente und Steuerpolitik sollen bis Ende des Jahres folgen. Erst danach sollte die zum Programm passende Person folgen, so die Logik. Und eigentlich hätte man auch die Zeit, denn Gabriel ist derzeit de facto der einzige Bewerber. Hamburgs Erster Bürgermeister, Parteivize Olaf Scholz hat intern schon vor langer Zeit abgewinkt, er peilt, wenn überhaupt, eine Kandidatur 2021 an. Ebenso Andrea Nahles. Und EP-Parlamentspräsident Martin Schulz lässt seinem Freund Gabriel in jedem Fall den Vortritt.

Dass der alte Zeitplan wackelt, hat außer mangelnder Disziplin noch einen zweiten Grund: Angela Merkel. Auch im Willy-Brandt-Haus rechnet man inzwischen damit, dass die Kanzlerin im Umfeld des CDU-Parteitages Anfang Dezember in Essen erklärt, ob sie noch ein weiteres Mal antritt. Bisher hat sie das offen gelassen. Aber sie will in Essen für zwei Jahre wieder zur CDU-Chefin gewählt werden, da erwarten, sagen Unions-Insider, die Delegierten vorher Klarheit. Außerdem könnte ihr so eine Ankündigung helfen, wieder ein gutes Ergebnis zu bekommen. Spätestens dann geriete Gabriel sofort unter Druck. Nicht nur die Medien, auch die Mitglieder der SPD würden wissen wollen, wer Merkels Herausforderer ist. Ohne eine solche Entscheidung gäbe es für Gabriel also keine Ruhe unterm Weihnachtsbaum. Und bis zum CDU-Parteitag sind es nur noch zwei Monate hin.