Gerichtshof moniert erneut Sicherungsverwahrung
Straßburg (dpa) - Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Deutschland in zwei Fällen erneut wegen der umstrittenen Sicherungsverwahrung verurteilt.
Die Bundesregierung muss einem 78-jährigen Mann aus Aachen, der 2008 aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurde, 5000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Der Grund: Die Justiz hat zu lange gebraucht, um zu einer Entscheidung zu kommen.
Einem 59-jährigen Beschwerdeführer, der in Straubing in Sicherungsverwahrung untergebracht ist, sprach der Gerichtshof am Donnerstag in Straßburg 20 000 Euro Entschädigung zu. Bei ihm handelt es sich um einen sogenannten Altfall, da die rückwirkende Sicherungsverwahrung, gegen die er klagte, in Deutschland bereits abgeschafft ist. Beide Männer sind wegen Raubes und Mordversuches mehrfach vorbestraft. Gegen diese Kammerurteile kann Berufung beantragt werden.
Ob der 59-Jährige nach diesem Urteil freigelassen wird, muss die deutsche Justiz entscheiden. Der Gerichtshof in Straßburg macht den beklagten Staaten keine Vorschriften, hat Deutschland jedoch aufgefordert, rasch darüber zu entscheiden. Kritischer ist bei dem zweiten Urteil die Langsamkeit der Justiz, nicht nur der deutschen, die in Straßburg immer wieder gerügt wird.
Bei dem 59-Jährigen erkannten die Richter einen Verstoß gegen den Grundsatz „keine Strafe ohne Gesetz“ an, würdigten jedoch gleichzeitig die Reform der Sicherungsverwahrung, die in Deutschland bis 2013 abgeschlossen sein muss. Die Höhe der Entschädigung begründeten die Richter mit „Angst und Frustration“, die der Mann wegen seiner anhaltenden Sicherungsverwahrung durchlebt.
Im Falle des 78-Jährigen bemängeln die Straßburger Richter in erster Linie, dass die Justiz neun Monate gebraucht hat, um über die Sicherungsverwahrung zu entscheiden. Dies ist in den Augen des Gerichtshofs ein klarer Verstoß gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Die Argumente des Mannes, dass er wegen seines Alters und eines Hüftleidens nicht mehr gefährlich gewesen und die Sicherungsverwahrung nicht erforderlich gewesen sei, wiesen die Straßburger Richter zurück. Die deutschen Gerichte hätten die Gesundheit und Psyche des Mannes gründlich geprüft, hieß es in dem Urteil. Auch als alter Mann sei er durchaus in der Lage, Banken zu überfallen oder Einbrüche zu begehen. Das fand die deutsche Justiz auch. Der Mann war seit 1949 insgesamt 22 Mal verurteilt worden. Er lebte von Diebstahl und Schmuggel, später ging er zu bewaffneten Banküberfällen und Raub über.