Interview Grünen-Chef Habeck: „Wir tragen längst Verantwortung“

Exklusiv · Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck über die neue Rolle seiner Partei, Bodenhaftung – und warum er sich nicht mit Personaldebatten befassen will.

Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen: „Wir wollen Politik verändern.“

Foto: dpa/Martin Schutt

Herr Habeck, gefällt es Ihnen, der derzeit beliebteste Politiker in Deutschland zu sein?

Habeck: Das ist mir eher unangenehm, weil ich es unangemessen finde. Was wir bisher erreicht haben, haben wir gemeinsam geschafft. Lassen Sie uns doch lieber über Sachthemen reden als über Personen.

Durch den Zuspruch bei Wahlen steigt die Verantwortung, die Sie tragen.

Habeck: Das Ergebnis bei der Europawahl war das beste grüne Ergebnis, das wir auf Bundesebene je hatten. Damit geht Verantwortung einher, dessen sind wir uns bewusst. Ich glaube, der Zuspruch zeigt viel Vertrauen, und das wollen wir einlösen. Aber das schafft man nicht mit Jippijä und auf die Brust klopfen...

Sondern wie?

Habeck: Ich glaube, dass gerade etwas Grundsätzliches geschieht. Das Parteiengefüge ist in Bewegung, alte Gewissheiten brechen auf. Wir haben eine Orientierung gebende Aufgabe vor uns. In der langen Linie und im Konkreten. Denn die Menschen erwarten konkrete Antworten, beim Klimaschutz, der gerechten Besteuerung von Digitalkonzernen, oder dem Umgang mit steigenden Mieten in den Städten.

Der „Stern“ hat sie als neuen Bundeskanzler auf seinem aktuellen Titel. Haben Sie sich das Foto schon an den Kühlschrank geklebt?

Habeck: Nein, warum sollte ich?

Dann anders. Müssen Sie als Vorsitzender ihren Parteimitgliedern jetzt Bleischuhe verordnen, damit sie die Bodenhaftung nicht verlieren?

Habeck: Nö. Die Leute freuen sich natürlich, auch über die guten Kommunalwahlergebnisse oder die Bürgerschaftswahl in Bremen. Vielerorts sind Grüne mit zweistelligen Ergebnissen gewählt worden. Aber alle bei uns wissen und spüren, dass sie gerade in eine große Verantwortung hineinwachsen. Das tun wir mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Gemessen an den Mitgliederzahlen sind wir übrigens immer noch eine kleine Partei.

Aber Sie nähern sich an. Irgendwann wird man nicht umhinkommen, die Grünen als Volkspartei zu bezeichnen.

Habeck: Danke für das Vertrauen, wir sehen uns ja eher als Bündnispartei. Und wir wissen, dass die Aufgaben groß sind.

Wie auch immer. Irgendwann werden Sie vielleicht in irgendeine Verantwortung kommen. Dann müssen Sie etwas tun. Zum Beispiel Verzicht erklären. Denn Klimaschutz bedeutet ja wohl, dass Menschen Dinge nicht mehr machen können, die sie heute noch machen. Wie weit gehen die Grünen?

Habeck: Wir tragen schon längst Verantwortung, derzeit in acht Bundesländern und zig Kommunen. Als Minister in Schleswig-Holstein war ich für den Bau von Windkraftanlagen und Stromtrassen verantwortlich. Da gab es natürlich auch Widerstand, aber wir haben es geschafft, weil wir sehr klar waren und politisch dafür eingestanden sind. Wir sind hingegangen und haben gesagt, die Stromtrasse kommt, wir verstehen jeden, der die nicht in der Nähe haben will. Deshalb lasst uns über das Wie reden, nicht mehr über das Ob.

Die Frage bezog sich ein bisschen auf den Veggie-Day, der ja nicht so gut angekommen ist.

Habeck: Der Veggie-Day hat die Gesellschaft im Rückblick nicht über-, sondern eher unterfordert. Er hat keine politische Antwort gegeben, sondern eine pädagogische. Es geht aber um etwas anderes: Wir müssen den politischen Rahmen verändern: Also wir sorgen für eine flächengebundene Tierhaltung oder schreiben mehr Platz für Tiere in den Ställen vor. Wir dürfen Tiere nicht mehr als Rohstofflieferanten betrachten nach dem Motto: je mehr desto besser. Wenn das der Maßstab wird, wird das logischerweise Auswirkung auf den Konsum haben. Aber nicht, in dem wir die Menschen umerziehen, sondern in dem wir die Politik verändern.

Und die Autofahrer?

Habeck: Wir werden sicher auch unsere Mobilität verändern müssen, was Auswirkungen auf die Zahl der Autos zumindest in den Innenstädten haben wird. Die vielen Staus sind ein Problem, manche Städte stehen vor einem Verkehrsinfarkt. Und wir brauchen mit Blick aufs Klima und Umwelt insgesamt eine sauberere Mobilität.

Also doch Verzicht.

Habeck: Verzicht auf was? Es geht nicht um weniger Beweglichkeit, sondern um andere. In vielen Innenstädten macht es doch heute schon kaum noch Sinn, Auto zu fahren, weil man keinen Meter vorankommt. Vielleicht gibt es dadurch auch eine Rückbesinnung auf das, was wir eigentlich mal wollten: mobil zu sein, Freiheit zu erleben, indem man sich von A nach B bewegen kann und sich ein Stück weit von diesem Statussymboldenken zu befreien. Selbst wenn der Autoverkehr komplett klimaneutral und erneuerbar wäre, hätten wir immer noch verstopfte Innenstädte. Auf dem Land ist es natürlich etwas anderes. Wo keine Bahn und kein Bus mehr fährt, da sind viele Menschen auf ein Auto angewiesen.

Als Sie sich zuletzt zur Entscheidung Ihrer Bremer Freunde geäußert haben, Rot-Grün-Rot anzupeilen, wirkte das ein wenig, als hätten Sie in eine Zitrone gebissen.

Habeck: Wir haben als Partei schon vor geraumer Zeit den klaren Kurs der Eigenständigkeit eingeschlagen. Das ist das Ehrlichste, was man machen kann. Die alten Lagerbildungen sind überholt. Da muss man nur einen Blick auf die Bundesländer werfen, wo wir in ganz unterschiedlichen Konstellationen mitregieren. Und zwar je nachdem, was sich in welchem Bündnis am besten für das Land erreichen lässt. In Bremen war die Analyse so, dass sich eine ökologische, soziale und proeuropäische Politik in dieser Konstellation am besten in konkrete Politik umsetzen lässt.

Dann hätten Sie das auch so gemacht.

Habeck: Ich vertraue voll und ganz auf die Bremer Grünen.

Ist es für Sie denkbar, sich von den Linken zum Bundeskanzler wählen zu lassen?

Habeck: Wir haben noch zwei Jahre eine gewählte Regierung, und die hat noch jede Menge Aufgaben vor der Brust. Die Koalitionäre müssen für sich entscheiden, ob sie die noch kraftvoll stemmen können und wollen. Und dann sollen sie das auch tun. Was uns betrifft: Wir gewinnen auch deshalb an Zustimmung, weil wir uns nicht in die leeren Rituale der Farbenspiele, des Was-wäre-wenn und der Personalisierung hineinbegeben haben, sondern uns konsequent und konzentriert um die Fragen gekümmert haben, die jetzt anstehen. Und dabei wollen wir es auch bewenden lassen.