Parteitag der Grünen Große Euphorie und leise Sorgen bei den Grünen
Bielefeld. · Auf dem Parteitag der Grünen in Bielefeld herrscht positive Stimmung vor. Man will wieder mitregieren und stellt dafür die Weichen, etwa durch die Stärkung der bisherigen Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck. Doch es gibt auch Mahner.
Damit hat keiner gerechnet. „Die Grünen neigen nicht dazu, überschäumend zu sein“, sagt Jürgen Trittin. Kurz darauf sieht sich der altgediente Parteifuchs eines Besseren belehrt. 90,4 Prozent für Robert Habeck und gar 97,1 Prozent für Annalena Baerbock. Da ringen nicht nur die beiden wiedergewählten Vorsitzenden um Fassung. Auch manchen Delegierten ist das Rekordergebnis nicht ganz geheuer. „Irre“ nennt der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour den Wahlausgang. Und ergänzt: Das sei „der Lohn für mitreißende Reden als Krönung von zwei Jahren grüner Erfolgsgeschichte“.
Baerbock und Habeck hatten die Parteiführung Anfang 2018 nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen übernommen. Und seitdem ging es für die Grünen tatsächlich nur bergauf. Allein die Mitgliederzahl ist um rund ein Drittel auf 94 000 gestiegen. In den allermeisten Bundesländern sitzen die Grünen mit am Kabinettstisch. Kein Wunder, dass sie sich auf ihrem Parteitag in Bielefeld nun kräftig selbst feiern.
Auch Claudia Roth, einst selbst rund zehn Jahre lang Parteivorsitzende, schwärmt über das alte und neue Führungsduo: „Beide haben es geschafft, dass die verschiedenen Flügel in der Partei bei ihnen zu Hause sind“. Das etwas schlechtere Abschneiden für Habeck führen manche auf die leidige K-Debatte zurück. Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg, hatte Habeck schon zum Kanzlerkandidaten ausgerufen. Eine völlig verfrühte Debatte, zürnten viele Grüne. Auch offiziell heißt es, über die K-Frage werde erst entschieden, wenn sie anstehe.
Habeck: „Sind eine
politische Kraft“
An ihrem unbändigen Drang zur Macht im Bund lassen die Vorturner der Grünen allerdings keinen Zweifel. „Wir müssen nicht nur Ziele formulieren, sondern sie auch umsetzen im Hier und Heute“, ruft Baerbock den rund 800 Delegierten unter starkem Applaus zu. „Wir sind keine Bürgerbewegung mehr. Wir sind eine politische Kraft, die den Auftrag zur Gestaltung hat“, betont Habeck. Die Grünen hätten in den vergangenen Jahren „so viel Hoffnung geweckt“. Jetzt müsse man „aus Hoffnung Wirklichkeit machen“. Auch der Redebeitrag von Winfried Kretschmann ist von diesem Gedanken geprägt: „Es wächst uns eine Rolle zu, nicht nur mitzugestalten, sondern auch mitzuführen.“ Dafür bekommt er ebenfalls riesigen Applaus.
In die allgemeine Euphorie mischen sich allerdings auch leise Zweifel. „Das ist ein Wohlfühlparteitag hier“, analysiert der Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner. Er sehe aber mit „Sorge“, wenn die Umfragewerte wieder zurückgingen. Dann müsse man „die Nerven behalten“. Was Lindner beschreibt, ist praktisch schon im Gange. Aktuell liegen die Grünen bei rund 20 Prozent in der Wählergunst. Das war auch schon deutlich mehr. Gleichzeitig konstatieren Demoskopen, dass die Partei fast ausschließlich wegen ihrer Umweltpolitik gewählt wird. Andere Themen spielen fast keine Rolle. Die Parteistrategen haben daraus Konsequenzen gezogen: Bereits zum Auftakt des Delegiertentreffens ist eine mehrstündige Debatte zum aktuellen Reizthema Mieten und Wohnen angesetzt. Dabei wird schnell deutlich, dass die Versuchung groß ist, überzogene Forderungen aufzustellen, die sich bei einer Regierungsbeteiligung kaum oder gar nicht durchsetzen lassen. Eine Delegierte aus Berlin-Kreuzberg pocht auf konsequente Enteignungen von Wohnungskonzernen. Habeck kontert, die Grünen dürften nicht das Signal aussenden, Bauen lohne sich nicht mehr. Am Ende folgt der Parteitag dem Vorstandsantrag, Enteignungen nur als „letztes Mittel“ anzuwenden.
Antrag von „Fridays for Future“ wird aufgegriffen
Auch in der Wirtschafts- und Klimadebatte sind manche geneigt, den Bogen zu überspannen. Um die Treibhausage in den Bereichen Klima und Verkehr „sozialverträglich“ zu reduzieren, schlägt der Vorstand als Kompromiss vor, den Einstiegspreis pro Tonne C02 im kommenden Jahr auf 60 Euro festzulegen – und geht damit schon weit über das Klimapaket der großen Koalition hinaus. Darin sind lediglich zehn Euro vorgesehen. Derweil wird in einem Gegenantrag die Forderung der Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“ aufgegriffen und ein Einstiegspreis von 80 Euro verlangt. Doch auch hier setzt sich am Ende die Linie der Parteiführung durch, fruchtet die Mahnung der Vorsitzenden Baerbock: „Wir müssen dafür sorgen, dass die ökologische Transformation für alle Menschen funktioniert, für den Stahlarbeiter, die Pendlerin und den Familienvater mit seinem Handwerksbetrieb.“