Gutachten: Videoübertragung des NSU-Prozesses unzulässig
Berlin (dpa) - Rechtsexperten des Deutschen Bundestages halten eine Videoübertragung des NSU-Prozesses für unzulässig.
Die Juristen verweisen auf die „Menschenwürde der Verfahrensbeteiligten“ - das geht aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes hervor, das der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vorliegt.
Konkret heißt es dem Bericht zufolge in dem Papier: „So wird als unzulässig angesehen, zur Erweiterung der Zuhörerkapazität etwa die Türen zum Gerichtssaal dauernd geöffnet zu halten oder das im Gerichtssaal Gesprochene per Lautsprecher auf die umliegenden Flure zu übertragen. Eine Übertragung per Bild und Ton in einen anderen Raum, in dem die Hauptverhandlung nicht stattfindet, ist danach erst recht unzulässig.“
Der Öffentlichkeitsgrundsatz verpflichte das Gericht ebenfalls nicht, bei zu erwartendem großen Zuhörerandrang in einem größeren Saal zu verhandeln. Das hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen selbst klargestellt. Aus Artikel 5 des Grundgesetzes lasse sich kein Anspruch auf Bild- und Tonübertragung der Verhandlung in einen anderen Gerichtssaal herleiten, heißt es in der Entscheidung, mit der das Gericht die Verfassungsbeschwerde eines freien Journalisten gegen das Losverfahren bei der Platzvergabe zurückwies.
Der Journalist hatte geltend gemacht, dass bei der Verlosung der Medienplätze am Montag keine Kontingente für freie oder Online-Journalisten vorgesehen waren, und hilfsweise eine Videoübertragung des Münchner Prozesses gefordert. Er bezog sich dabei auch auf Artikel fünf des Grundgesetzes, in dem festgelegt wird, dass die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film zu gewährleisten sind.
Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen der NSU-Opfer, Barbara John, forderte die Politik auf, sich mit dem Thema Videoübertragung im Gericht stärker auseinanderzusetzen. „Ich verstehe nicht, warum der Gesetzgeber das nicht schon im Vorfeld des Prozesses geklärt hat. Jetzt muss dieses Thema dringend angegangen
werden“, sagte John dem Berliner „Tagesspiegel“ (Donnerstag).
Die Justiz sei unabhängig, aber eben nicht unfehlbar. Im Fall der jahrelang unerkannt mordenden Neonazi-Zelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) seien die Sicherheitsbehörden nicht auf der Höhe der Zeit gewesen - die Justiz sei es jetzt auch nicht. „Wir brauchen ein modernes Recht, was sich auch den Realitäten unserer Gesellschaft anpasst, aber das haben wir derzeit nicht“, sagte John. Für diesen Prozess sei „größtmögliche Öffentlichkeit notwendig, dafür konnte das Gericht aber nicht sorgen.“
Auch die Neuverlosung der Presseplätze für den NSU-Prozess war von Pannen und Problemen überschattet. Das Oberlandesgericht (OLG) in München räumte Fehler bei der Ziehung ein. Ein Medienplatz im Gericht soll deshalb nachverlost werden. „Der Prozessbeginn am Montag ist dadurch nicht gefährdet“, betonte OLG-Sprecherin Andrea Titz.
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat der Vorsitzende Richter bei der Verteilung knapper Sitzplätze „einen erheblichen Ermessensspielraum“. In Karlsruhe liegt allerdings noch eine weitere Verfassungsbeschwerde vor. Der freie Journalist Martin Lejeune hatte zunächst einen der 50 reservierten Presseplätze erhalten. Im zweiten Anlauf ging er bei der Verlosung leer aus und rügt nun unter anderem, dass „den im vorigen Vergabeverfahren erfolgreichen Journalisten der Platz nicht einfach wieder weggenommen werden“ dürfe.
Das Verfassungsgericht hatte jedoch ausdrücklich diese Möglichkeit eröffnet, als es die ursprüngliche Vergabe beanstandete, bei der keine türkischen Medien zum Zug gekommen waren. Die „Welt“-Gruppe, „Die Zeit“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) wollen auf eine Klage verzichten, um den Prozessbeginn am 6. Mai nicht zu gefährden. Sie alle waren bei der Verlosung leer ausgegangen.
Der Prozess um die rassistisch motivierten Morde und Anschläge des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) soll am 6. Mai beginnen. Trotz der Querelen sind die Erwartungen in der Bevölkerung hoch. 42 Prozent der Deutschen sagten in einer Forsa-Befragung für das Magazin „Stern“, dass die gerichtliche Aufarbeitung der Neonazi-Morde das Ansehen Deutschlands in der Welt verbessern könne. Der Hauptangeklagten Beate Zschäpe wird Mittäterschaft vorgeworfen. Angeklagt sind außerdem vier mutmaßliche Helfer und Unterstützer.