Interview Hebammenverband warnt vor Lücken in der Geburtshilfe: "Eine Geburt im Autozug"
Berlin. Wer ein Kind bekommt, hat immer größere Probleme, auch gut betreut zu werden. Denn laut Hebammenverband sind in den letzten Jahren viele Kreißsäle geschlossen worden.
Die Präsidentin des Verbandes, Martina Klenk, warnt im Gespräch mit unserer Redaktion vor den Gefahren für Schwangere. Insgesamt gibt es in Deutschland noch 23.000 Hebammen.
Frau Klenk, es werden wieder mehr Kinder geboren. Aber gibt es auch noch genügend Hebammen, die dabei helfen?
Martina Klenk: Wir haben immer noch mehr Anfragen als vorhandene Ausbildungsplätze. Trotzdem stellen wir fest, dass die Bewerberzahlen sinken. Das hat etwas mit unseren Arbeitsbedingungen zu tun. Ich setze große Hoffnung darauf, dass die Hebammen-Ausbildung jetzt an der Hochschule verortet wird. Dadurch könnte sich die Attraktivität des Berufes erhöhen.
Wo hakt es denn in Ihrem Berufsstand?
Klenk: Im Moment haben wir massive Probleme in den Krankenhäusern. Von 1991 bis heute sind 40 Prozent der Kreißsäle geschlossen worden - und das betrifft nicht nur ländliche Räume. Hintergrund sind immense Einsparungen beim Personal. Viele Kolleginnen haben versucht, dies durch Überstunden zu kompensieren. Jetzt haben wir aber eine Situation, wo es nicht mehr geht. In zahlreichen Krankenhäusern herrscht wegen des ökonomischen Drucks ein eklatanter Mangel an Hebammen.
Welche Folgen hat das für Schwangere?
Klenk: Manche Krankenhäuser weisen Schwangere bereits ab. Auch leidet die Betreuung der Frauen zum Teil qualitativ. Eine Umfrage unseres Verbandes hat ergeben, dass angestellte Kolleginnen in der Regel drei bis fünf Geburten gleichzeitig betreuen. Und das ist natürlich ein Risiko für die Frauen. Außerdem ist es so, dass eine Hebamme beim Kaiserschnitt dabei ist. Wenn sie dann im OP steht und noch eine Geburt im Kreißsaal betreut, dann nenne ich das eine krisenhafte Situation.
Gibt es Fälle, in denen Gebärende oder Neugeborene Schaden genommen haben?
Klenk: Na ja, wir hatten zum Beispiel die Situation, dass in Schleswig-Holstein ein Kind im Autozug geboren wurde, weil aus Kostengründen auf den Inseln so gut wie keine Geburtshilfe mehr vorgehalten wird. Mitunter müssen Frauen aus ländlichen Regionen bei Wind und Wetter in 50 Kilometer entfernte Krankenhäuser fahren, da es in der Nähe keine Geburtsstation mehr gibt. Das ist dann kein Spaß.
Zuletzt wurde viel über die extrem hohen Versicherungsprämien diskutiert, die Hebammen zahlen müssen. Ist das Problem aus der Welt?
Klenk: Es gibt den Ausgleich der Haftpflichtprämien für die Freiberuflerinnen durch den sogenannten Sicherstellungszuschlag. Ein Selbstbehalt von 2000 Euro ist etwas anderes als von 7000 Euro. Diese Regelung kann aber nur ein Zwischenschritt sein. Wir brauchen für die Freiberuflerinnen nach wie vor einen Haftungsfonds oder eine Lösung analog der gesetzlichen Unfallversicherung.
Wie kann die Politik ihrer Zunft helfen?
Klenk: Wir benötigen dringend mehr Personal für die Kreißsäle. Das ist ganz wesentlich. Außerdem wünschen wir uns eine bessere Vergütung angesichts der Verantwortung. Auch da muss dringend umgesteuert werden.