Heftige Kritik am Doppelpass-Kompromiss
Berlin (dpa) - Der schwarz-rote Kompromiss zur doppelten Staatsbürgerschaft stößt bei Deutsch-Türken, Opposition und auch in den Reihen der SPD auf Kritik. Die Türkische Gemeinde in Deutschland reagierte enttäuscht auf die Pläne.
„Das ist ein Optionspflicht-Verlängerungsgesetz“, sagte der Bundesvorsitzende Kenan Kolat der Nachrichtenagentur dpa. Der umstrittene Optionszwang falle nicht weg, stattdessen entstehe neue Bürokratie. Linke und Grüne sprachen von einem „Bürokratiemonster“. Die SPD auf Länderebene ist unzufrieden. Und aus der CSU kommt der Ruf nach Korrekturen.
Bislang müssen sich in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern, die mit der Geburt zunächst den deutschen und einen anderen Pass bekommen, bis zum 23. Geburtstag für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. Das betrifft vor allem Deutsch-Türken. Union und SPD hatten sich nach langem Ringen darauf verständigt, diese Optionspflicht abzuschaffen - aber nur für jene, die in Deutschland geboren und auch aufgewachsen sind.
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) hatten am Donnerstag ihren Entwurf dazu vorgelegt. Danach sollen jene auf Dauer zwei Pässe behalten dürfen, die bis zu ihrem 21. Geburtstag mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben oder sechs Jahre hier zur Schule gegangen sind.
Die jungen Leute können danach vor dem 21. Geburtstag von sich aus die dauerhafte doppelte Staatsbürgerschaft beantragen. Dafür müssen sie ihren Aufenthalt oder Schulbesuch in Deutschland nachweisen oder ein deutsches Schulabschluss- oder Ausbildungszeugnis vorlegen. Ansonsten schauen Behörden nach dem 21. Geburtstag der Betroffenen selbst ins Melderegister und fragen im Zweifel nach weiteren Belegen.
Kolat beklagte, dies sei viel zu kompliziert. Auch sei unklar, was mit jenen passiere, die bereits einen ihrer Pässe verloren hätten.
Die Linke-Politikerin Sevim Dagdelen sprach von einem faulen Kompromiss. Das „Bürokratiemonster Optionspflicht“ bleibe. Die SPD habe ihr Wahlversprechen gebrochen, die Regelung ganz abzuschaffen. Der Grünen-Innenpolitiker Volker Beck bezeichnete die Pläne als Schildbürgerstreich und Gängelung. „Nun bleiben weiterhin zigtausende junge Menschen in ihrer Jugend Deutsche auf Probe.“
Die von SPD und Grünen regierten Länder Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz hatten vorab vergeblich versucht, über den Bundesrat Druck zu machen, um die Optionspflicht ausnahmslos zu streichen. Am kritischsten äußerte sich nun Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD), der das Ergebnis „sehr unbefriedigend“ nannte. Er sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Freitag): „Es bleibt bei einem riesigen, integrationsfeindlichen Bürokratiemonster.“
Baden-Württembergs SPD-Chef Nils Schmid erklärte, die Einigung gehe nicht weit genug. Ziel bleibe die komplette Abkehr von der Optionspflicht. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte ebenfalls, sie hätte sich mehr gewünscht.
Die SPD im Bund wehrte sich gegen die Kritik. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Samstag), der ausgehandelte Kompromiss sei hervorragend. Riesiger bürokratischer Aufwand sei verhindert worden. Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), sprach von einem guten Ergebnis.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte der „Welt“: „Die Lösung ist nicht bürokratisch, sondern ein praxistauglicher Kompromiss.“ Der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Stephan Mayer (CSU), meldete dagegen Korrekturbedarf an. Er sagte dem „Tagesspiegel“ (Samstag), es dürfe keinen Automatismus geben. Wer die doppelte Staatsbürgerschaft wolle, müsse sich aktiv darum kümmern. Außerdem finde er es nicht ausreichend, dass allein sechs Jahre Schulbesuch als Nachweis genügen sollten.